Noch einmal: Beutler in Lubsdorf

Ich habe an dieser Stelle bereits zweimal1https://www.koenigsgnade.de/zur-erinnerung-an-hulda-beutler/ und https://www.koenigsgnade.de/hulda-beutler-ein-update/ an Hulda Beutler erinnert, die aus Lubsdorf stammend ein Opfer des Holocaust wurde. Folgende Daten aus ihrem Leben sind bekannt:

  • 3. März 1873 – Hulda Beutler wird in Lubsdorf als Tochter von Louis Beutler und Sara geb. Hisnoff geboren;
  • 1935 – Hulda Beutlers Gemischtwarengeschäft in Stibbe wird in Klockhaus’ kaufmännischem Handels- und Gewerbe-Adressbuch aufgeführt;
  • Mai 1936 u. Mai 1937 – Hulda Beutler wird unter den zahlungsfähigen Mitgliedern der Synagogen-Gemeinde in Tütz genannt;
  • September 1938 – Hulda Beutler wird im Hetzblatt Der Stürmer denunziert;
  • 21. Juli 1942 – Hulda Beutler wird von Berlin aus ins Ghetto Theresienstadt deportiert;
  • 7. Dezember 1942 – Hulda Beutler stirbt im Ghetto Theresienstadt.

Aus den veröffentlichten Ergebnissen der Volkszählungen von 1864, 1871 und 1885 folgerte ich, dass Louis Beutler sich mit seiner Familie zwischen 1864 und 1871 in Lubsdorf niederließ und zwischen 1871 und 1885 nach Stibbe verzog. Eine Bahnfrachtkarte aus dem Jahr 1908 erhärtete diese Vermutung.

Inzwischen hat das verdienstvolle Online-Portal metryki.genbaza.pl einige Akten des Landratamts Deutsch Krone aus dem Bestand des Archiwum Państwowe in Koszalin online gestellt, die wichtige Informationen zur regionalen jüdischen Geschichte enthalten. In einer Akte findet sich auch ein Brief, den der »Handelsmann Levin Beutler« am 20. März 1868 aus Lubsdorf an das Landratsamt in Deutsch Krone sandte2Der Brief findet sich in der Akte Ausführung des Gesetzes über die Verhältnisse der Juden vom 23 Juli 1847 (1847-1868) auf den Blättern 550 und 551. Die Signatur der Akte im AP Koszalin ist 26/20/0/2.3/166; der Link zum Dokument ist https://metryki.genbaza.pl/genbaza,detail,481488,573. Dort finden sich auch alle Zitate..

Anfang des Briefes von Levin Beutler
Gehorsamstes Bitt-Gesuch des Händlers Levin Beutler aus Lubsdorf, 1868

In dem Brief berichtet Levin Beutler, er sei »drei Monate nach seiner Verheiratung zur Fahne berufen« (also eingezogen) worden und habe im Deutschen Krieg von 1866 als Soldat gedient. In der Schlacht bei Königgrätz (3. Juli 1866) sei er schwer erkrankt und ins Lazarett eingeliefert worden. Um auf dem Krankenlager die nötige Pflege zu haben, ließ er seine Frau ins Lazarett kommen. Sein Geschäft, dass er vorher in einer unbenannten Stadt geführt hatte, blieb daher unbeaufsichtigt und ging zu Grunde. Da es Beutler zu einem neuerlichen Geschäftsbetrieb in der Stadt an Vermögen fehlte, zog er aufs Dorf – nach Lubsdorf, wo er hoffte, seinen »Gebrauch gegen den in der Stadt zu verkleinern«.

Nun sei aber die Synagogen-Gemeinde in Tütz auf ihn zugekommen und fordere einen Mitgliedsbeitrag von zwei guten Groschen im Monat. Zusätzlich habe er auch noch zwei Groschen Klassensteuer zu zahlen – und schon dieser Betrag falle ihm in seinen jetzigen Verhältnissen schwer. Beutler bat nun den Landrat um die Erlaubnis, sich statt an die Tützer Synagogen-Gemeinde an die in Schloppe anschließen zu dürfen, denn in Schloppe würden für Klassensteuer und Gemeinde-Beitrag lediglich 28 Groschen im Jahr – also 20 Groschen weniger als in Tütz – fällig. Zudem lebten seine Eltern in Schloppe; er verbringe deshalb die Feiertage dort und habe Unterkunft und Verköstigung frei.

Die Antwort des Landratamts auf Beutlers Bitte ist ebenfalls bekannt. Sie lautet:

An den Handelsmann Levin Beutler zu Lubsdorf. Auf die Vorstellung vom 20. d. M. erwidere ich Ihnen, daß, da Sie in Lubsdorf wohnen, Sie auch verpflichtet sind, sich der Synagogen-Gemeinde zu Tütz anzuschließen und daß Sie davon nur mit Zustimmung der Letzteren entbunden werden können. Es muß Ihnen überlassen bleiben, sich deshalb mit der Gemeinde zu Tütz zu verständigen.

Diese Ablehnung war zu erwarten, denn in einem Vertrag vom 18. November 1853 hatten sich die städtischen Synagogen-Gemeinden des Kreises Deutsch Krone untereinander über die Abrenzung des ländlichen Umlandes geeinigt. Lubsdorf und Marzdorf wurden dabei der Gemeinde in Tütz zugeschlagen, die Dörfer Brunk und Königsgnade hingegen Märkisch Friedland3Ebenda, Blatt 111-114..

Auch die höchst unterschiedlichen Mitgliedsbeiträge, die von den Gemeinden erhoben wurden, sind bekannt; die Unterschiede resultierten einfach daraus, dass sich die fixen Kosten für einen Kantor, den Unterhalt der Synagoge oder einen Lehrer in größeren Gemeinden auf eine größere Kopfanzahl verteilten. Die Synagogen-Gemeinde in Schloppe zählte 1852 346 Mitglieder, wohingegen in Tütz nur 70 Menschen jüdischer Konfession lebten4Eine detailierte Uebersicht der persönlichen und gewerblichen Verhältnisse der Juden am Ende des Jahres 1852 findet sich in der Akte 26/20/0/2.3/165 (Polizei Registratur Juden und Mennoniten) im AP Koszalin auf den Blättern 68-71. Im Internet findet sich das Dokument unter https://metryki.genbaza.pl/genbaza,detail,481485,67.. In Tütz waren die Gemeindebeiträge daher besonders hoch, und es ist kaum nachzuvollziehen, dass Beutler in seinem Brief auch darüber Beschwerde führt, die Tützer Gemeinde wollen ihn mit den hohen Gebühren »drücken« und erreichen, dass er »wieder hier fortziehen soll«.

Der vorliegende Brief beweist die Richtigkeit meiner Feststellung, dass sich die Familie Beutler zwischen 1864 und 1871 in Lubsdorf ansiedelte – vermutlich tat sie das im Jahr 1867. Aus der Tatsache, dass Beutlers Eltern 1868 in Schloppe lebten, mag man folgern, dass auch Levin Beutler bis zu seiner Einberufung dort sein Geschäft betrieb, aber dafür gibt es keinen Beweis. Im Gegenteil: In einer Nachweisung der »am Orte wohnhaften, selbstständigen Juden« vom 27. November 1853, die für Schloppe 58 Familiennamen nennt5Ausführung des Gesetzes … a. a. O., Blatt 133 und 134; https://metryki.genbaza.pl/genbaza,detail,481488,137., ist der Name Beutler nicht zu finden. Es erscheint mir hingegen sicher, dass Levin und Louis Beutler dieselbe Person sind und der Brief daher von Hulda Beutlers Vater stammt. Eine Änderung von jüdischen Vornamen war zur damaligen Zeit durchaus üblich.

Levin Beutler war übrigens nicht der erste jüdische Händler, der sich im Bereich der früheren Herrschaft Marzdorf ansiedelte. Das war vielmehr Jacob Treumann, der von mindestens 1852 bis mindestens 1854 in Königsgnade lebte. Laut der Nachweisung des Jahres 1852 betrieb Treumann im Dorf einen »stehenden Kramladen«; in seinem Haushalt lebten außer ihm selbst seine Frau und fünf Kinder, davon zwei Knaben und drei Mädchen6Uebersicht … a. a. O. 26/20/0/2.3/165, Blatt 70.. Am 14. April 1853 teilte der Ortsvorsteher von Königsgnade, Garske, dem Landratsamt in Deutsch Krone mit, dass sich die Zahl der Haushaltsangehörigen auf acht erhöht habe, denn auch Treumanns Mutter lebte nun im Dorf7Ausführung des Gesetzes … a. a. O., Blatt 43; https://metryki.genbaza.pl/genbaza,detail,481488,45.. Wie lange die Familie im Dorf blieb und wohin sie anschließend verzog, ist freilich nicht bekannt.

Für das Dorf Brunk liegt eine Erklärung des Schulzen Jaene vom 25. Dezember 1852 vor, nach der sich im Dorf »keine Juden befinden«8Polizei Registratur … a. a. O., Blatt 52; https://metryki.genbaza.pl/genbaza,detail,481485,51.. Eine ähnliche Erklärung gab für Marzdorf Schulz Morowsky schon am 21. Dezember 1836 ab9Einreichung der Uebersichten des jüdischen Schulwesens (1828-1849), AP Koszalin 26/20/0/2.3/161, Blatt 212; https://metryki.genbaza.pl/genbaza,detail,481469,222.. Insgesamt lebten Ende 1852 214 jüdische Einwohner in 29 ländlichen Gemeinden des Kreises Deutsch Krone. In den fünf Städten Deutsch Krone, Jastrow, Märkisch Friedland, Schloppe und Tütz zählte man 1908 jüdische Bürger.

Anmerkungen:

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