Die Herrschaft Marzdorf im Jahr 1782 – Teil Ⅱ

Im Jahr 1782 begann der preußische Staat mit der Einrichtung des ritterschaftlichen Hypothekenwesens für den Marzdorfer Güterkomplex. In Teil Ⅰ dieser Arbeit gab ich ein umfangreiches Dokument wieder, das Onuphrius von Krzycki am 25. Oktober 1782 dem westpreußische Hofgericht in Bromberg übersandte, um den Umfang und die Eigentumsverhältnisse des Marzdorfer Besitzes darzulegen. Bereits am 28. Oktober 1782 forderte das Hofgericht die Kreis-Justiz-Kommission in Schneidemühl auf, »binnen 3 Wochen«1Acta des Amtsgerichts in Märkisch Friedland betr. die Einrichtung des Hypothekenwesens von dem zum Marzdorfschen Schlüssel gehörigen Allodial-Rittergute Marzdorf und dem dazu gehörigen Vorwerke Dreetz im Jahr 1782, Laufzeit 1782-1810, Fundort: Archiwum Państwowe w Koszalinie, Signatur 26/112/0/3/156, Blatt 9. vor Ort weitere Informationen einzuholen.

In Schneidemühl war der Kreis-Justiz-Actuarius Christoph Zacha (1757-1813) mit der Angelegenheit befasst. Zacha wurde als Sohn eines Kürschnermeisters in Saalfeld [heute: Zalewo] im Kreis Mohrungen geboren, hatte das Gymnasium in Elbing sowie die Universität in Königsberg besucht und erlebte nach 1778 in der preußischen Bürokratie – auch aufgrund seiner polnischen Sprachkenntnisse – einen raschen Aufstieg, in dessen Folge er 1790 nobilitiert wurde2Rolf Straubel: Biographisches Handbuch der preußischen Verwaltungs- und Justizbeamten 1740-1806/15, München 2009, S. 1134. – Straubel datiert den Eintritt Zachas in die Schneidemühler Kreis-Justiz-Kommission irrtümlich erst auf das Jahr 1784.. In einem Schreiben vom 10. November 1782 setzte Zacha einen Ortstermin auf den 19. November in Marzdorf an:

»Vigore Commissionis Eines Königl. West Preuß. Hof Gerichts mache ich denen Erben der verstorbenen Frau Castellanin von Kottwitz Krzyka geborene von Skorzewska hierdurch bekannt, daß ich zur Regulirung des Hypothequen Wesens deren Matzdorffschen3Zacha schrieb in den Akten grundsätzlich Matzdorff, der ortsansässige Administrator Polzin hingegen Marzdorf. In dem unten zitierten Protokoll findet sich nur zu Beginn die Schreibweise Matzdorff, im weiteren Verlauf schrieb Protokollführer Müller durchgängig Martzdorff. Güter Terminium auf den 19ten November d. J. zu Matzdorf angesezet habe. – An diesem Tage werden sämtliche Erben der genannten Defuncta in bestimmten Orte sich einfinden und über folgende Umstände ausführliche und bestimmte Data angegeben […]«4Acta des Amtsgerichts …, a. a. O., Blatt 19.

Im Folgenden listete Zacha neun Punkte auf, zu denen er »Assignationes und Relationes, […] Quittungen über gezahlte Kaufgelder, Testamente, Decrete und Testate, Ordinationes familiarum […], Renuntiations-Acten […], Schuld-Verschreibungen, Cautiones, Notate« und sonstige Dokumente »sorgfältig geordnet«5A. a. O., Blatt 20. verlangte. Die einzelnen Punkte umfassten die Besitzrechte und die Nutzung der Güter, aber auch bestehende Versicherungen, Verpflichtungen und etwaige Stiftungen, die auf ihnen lasteten.

Als Zacha am 19. November 1782 in Begleitung des Protocoll-Führers Müller in Marzdorf anlangte, traf er dort allerdings »niemand von der hiesigen Grund-Herrschaft persöhnlich«6A. a. O., Blatt 22. an. Andreas Polzin, der Administrator der Marzdorfer Güter, hatte zwar »dem Herrn Castellanitz nach Schiletz in Pohlen als dem ältesten der sämmtl. Erben die Nachricht von dem bestimmten Termin sorglich zugeschickt«7A. a. O., Blatt 21., aber bislang keine Antwort erhalten. Da Polzin davon ausging, dass es dem Herrn Castellanitz auch »unmöglich« sein werde, an einem »zweyten Termin […] zu erscheinen«8Ebenda., bliebt Zacha nichts anderes übrig, als sich mit seinen Fragen an den Administrator zu halten.

An den folgenden drei Tagen erstellte Zacha ein umfangreiches Protokoll9A. a. O., Blatt 22 bis 28., das ich im nachfolgenden ungekürzt wiedergebe. Während das Dokument, das Onuphrius von Krzycki dem westpreußischen Hofgericht in Bromberg übergab, den gesamten Marzdorfer Güterkomplex thematisierte, behandelt Zacha allein das Rittergut Marzdorf mit dem Vorwerk Dreetz und der Schäferei Böthin10Vermutlich wurden zeitgleich oder anschließend auch ähnliche Protokolle für die verbundenen Güter Brunk, Stibbe und Strahlenberg erstellt.. Die große Detailtiefe macht Zachas Protokoll zu einer unschätzbaren Quelle zur Geschichte des Deutsch Kroner Landes, dessen Guts- und Ortsarchive bekanntlich das Ende des Zweiten Weltkriegs nicht überdauerten.

Titelseite des Protokolls
Titelseite des Protokolls vom 21. November 1782

Von außerordentlicher Bedeutung ist insbesondere die Aufzählung der feudalen Dienstpflichten in Abschnitt 5, denn der Umfang dieser Dienste auf den adligen Gütern des Deutsch Kroner Landes ist weitgehend unbekannt. Ludwik Bąk bezifferte sie 1999 pauschal auf »zwölf Tage Fronarbeit zur Erntezeit und darüber hinaus drei Tage Hofdienste in der Woche«11Ludwik Bąk: Ziemia Wałecka w dobie reformacji i kontrreformacji w XVI–XVIII w., Piła 1999, S. 82., Christoph Motsch ging 2001 von »täglichen Diensten«12Christoph Motsch: Grenzgesellschaft und frühmoderner Staat. Die Starostei Draheim zwischen Hinterpommern, der Neumark und Großpolen (1575-1805), Göttingen 2001, S. 114. der zur Fron verpflichteten Bauern aus. Die Wirklichkeit in Marzdorf war noch drückender, denn die Dienstbauern hatten vom Frühjahr bis in den Herbst zwei Dienste täglich zu leisten, mussten also notwendig die eigenen Kinder oder fremdes Gesinde zur Erfüllung der Pflicht bereitstellen. In einer etwas günstigeren Lage befanden sich die Bauern in Lubsdorf, die das ganze Jahr über – wie die Marzdorfer in den Wintermonaten – nur zu einem täglichen Dienst verpflichtet waren. Noch günstiger stellte sich die Lage der beiden Zinsbauern dar, die lediglich zwanzig Diensttage zur Ernte zu leisten hatten. Holsche hat bereits 179313August Karl Holsche: Der Netzdistrikt ein Beytrag zur Länder- und Völkerkunde mit statistischen Nachrichten, Königsberg 1793, S. 214 ff. Dort auch die weiteren Zitate. darauf hingewiesen, dass die »Rechte des Bauren-Stands« im Netzdistrikt »verschieden« waren. Am elendsten empfand er die Lage der »Schaarwerks- oder polnischen Bauren«, die »zum Arbeiten gebohren sind, und von Freiheit keinen Begriff haben«:

»Diese haben nichts eigenes, alles gehört der Grundherrschaft, die Höfe mit allen Gebäuden sowol als die Inventaria, und ihre Pflichten bestehen darin, daß sie der Grundherrschaft ihre Vorwerke bauen, das Getreide einscheuren, dreschen und verfahren müssen. Gefälle geben die wenigsten, sie müssen blos dienen.«

Nun aber zum Protokoll, das Zacha und sein Sekretär Müller im November 1782 in Marzdorf verfassten.

✥ ✥ ✥

Actum Matzdorff den 21ten Novbr. 1782

[Blatt 22 VS] Dem Auftrage E. Königl. West-Pr. Hofgerichts de dato Bromberg den 28sten October dieses Jahres gemäß[,] verfügte sich Subscriptus anhiero, um das Hypothequen Wesen derer Matzdorffschen Güther zu berichtigen, nachdem zuvor eine umständliche Citation zu diesem Behuf erlaßen worden. Vorläufig wird bemerkt das im heutigen Termino niemand von der hiesigen Grund-Herrschaft persöhnlich gegenwärtig gewesen; sie sollen sich sämtlich nach der Anzeige des gegenwärtigen, so genannten Amt-Manns oder Administratoris Poltzien auf ihren übrigen Güthern zu Schielitz14Schielitz heißt heute Stary Sielec und ist ein Ortsteil der Gemeinde Jutrosin im Powiat Rawicz mit etwa 250 Einwohnern. in Pohlen aufhalten; er habe zuvor die Citation vom 10ten Novbr. so gleich derselben durch einen Boten zugefertiget, allein bis jetzt noch keine Antwort erhalten. Indeßen überreichte er eine Vollmacht[,] welche bereits d. 27ten Merz 1777 von der verstorbenen Eigentümerin dieser Güther[,] der Francisca geborene v. Skoroczewska verwittwete de Krzycka Castellanin v. Krzywinska[,] auf ihn den Comparenten behufs der Einrichtung des Hypothequen Wesens gerichtlich ausgestellet ward. Comparent glaube[,] daß diese Vollmacht auch jetzt gültig sey u. würde, indem nach dem Tode der verstorbenenen Castellanin diese [RS] Güther unter ihren nachgebliebenen Erben, noch nicht gerichtlich vertheilt wären, die Defuncta also noch als Eigentümerin dieser Güther zu betrachten, und der Comparent überhaupt bis jetzt die Administration dieser gesamten Güther geführet, einmal ohne dazu gerichtlich oder von sämtl. Erben gemeinschaftlich bestelt zu sey, bes. weil ihm diese Function schon seit 26 Jarn obgelegen, derselbe die beste Kenntniß von diesen Güthern, und ihren ganzen Verhältnißen habe; so suchte Inscriptus von ihm de data zur Genügung für Commissorii zu erforschen, worauf das folgende eruiret und verzeichnet ward, und zwar vom Haupt Guth Matzdorff.

Erste und letzte Seite der Vollmacht für Andreas Polzin aus dem Jahr 1777

1tens: Der eigentliche Besitzer dieses Guthes ist noch nicht bestimmt, da wie schon gesagt nach dem Absterben der genannten Eigentümerin in ihren gesammten Nachlaß noch keine Theilung unter ihren Erben geschehen. Ihre Erben sind aber folgende[:]

  1. Onuphrius von Kottwitz Krzycki in Schielitz[,]
  2. Theresia von Krzycka verehelicht gewesene v. Grudzinska zu Chodzezen. Diese ist gestorben, und hat zwei Erben am Leben hinterlaßen[,] nämlich
    • Antonius[,]
    • Josephus[,] sind beide minorenn und werden von ihrem Vater dem Chembellan von Grudzinski auf Chodzezen erzogen[,]
  3. Eleonora v. Krzycka verehelichte von Grabska auf Strelitz.
  4. Joseph von Krzycki welcher sich gegenwärtig [Blatt 23] in Posen in der Schule aufhält, alwo seine Erziehung durch seinen aeltesten Bruder Onuphrius von Kottwitz Krzycki[,] welcher nach Pohlnischen Gesetzen erster Vormund ist, besorgt wird.

Die künftige Erbtheilung unter diesen Erben wird bestimmt ausweisen[,] wer von ihnen Besitzer und alleiniger Eigenthümer der ganzen Güther, oder von einzeln Untertheilen werden wird.

2tens: Diese Güther, und besonders das Gut Matzdorff ist ein freies Eigenthum, welches bis jetzt durch nichts eingeschränkt ist durch keine subfestionale [unlesbar], kein Nexum Emphiteusios, usus fructus, fiedei Commissi, Majoratus, Senioratus, juris retrovenditionis, Refractus protimiseos oder einem eben selben gleich zu achtenden Dienst, welches die von der Theresa geborene von Mycielska verehelichte Frantz Skoroszewska Castellanin von Premet anno 1759 verschriebene Erbteilung ausführlich besagt. Dieses Guthes Grentzen sind

  • gegen Morgen mit Nakel[,]
  • gegen Mittag mit Lubsdorf[,]
  • gegen Abend mit Knakendorf[,]
  • gegen Mitternacht mit Brunck und dem Neumerckschen Dorffe Prochnow.

Eine besondere Vermeßung von diesem Guthe ist nicht vorhanden, nach dem unterm 1 Febr. 1777 aufgenommenen Original-Extract des Classifications-Commissionis Protocolls vom 12. Merz 1773 ist dieses Guth, nemlich des Vorwerks [RS] aber exclusiv des Bauernlandes und der Missale mit Sechszehn Huben angenommen. Dieses Guth liegt folgenden Städten am nägsten, nemlich Tyetz eine Meile und Maerksch Friedland auch eine Meile, Deutsch Crone zwey Meilen, die Neumarksche Stadt Callis anderthalb Meilen.

Das Guth Martzdorff liegt im Dt. Croneschen Creyße ehedem zur Posenschen Woyewodschaft in Groß Pohlen belegen.

3tens: Dieses Guth Martzdorf samt denen dazu gehörigen Güthern[,] welche unten namentlich werden genannt werden, und die zusammen die Martzdorffschen Güter oder der Martzdorffschen Schlüßel heißen, sind ehedem mit den angrentzenden Tuetzschen und Nakelschen sogenannten Schlüßeln eins gewesen und haben ursprünglich einer Familie gehört. Die aelteste Urkunde von dem Guth Martzdorff ist von 1511: damals kaufte es ein gewisser Mathias Tuczynski[,] welcher eigentlich mit Zunamen von Wedel geheißen, und Erbherr von Tuczno (auf deutsch Tuetz) war, deswegen also Tuczynski genannt ward, von Nikolaus Wedel erblich an sich, jedoch redet das über diesen Kauf verschriebene Document nur von dem vierten Teil von Martzdorff; ob aber das jetzige Martzdorff auch nur jener vierte Teil ist oder ob das uralte Martzdorff [Blatt 24] einmal so groß als das gegenwärtige gewesen, wie es geteilt, und ob und wie diese Theile zusammen gekommen oder wie groß ein jedes von ihnen gewesen; alles dieses ist unbekannt, und keine Urkunde davon. In der v. Wedelschen Familie hat sich dieses Guth zwei Jahr Hunderte hindurch erhalten.

Anno 1719 starb der letzte deren von Wedels[,] der Andreas Wedel Tuczinski15Andreas Joseph von Wedel-Tuczyński starb im Juni 1717, die Teilung des Besitzes unter den Erben fand aber wohl erst 1719 statt. ohne Leibes Erben; seine Güther fielen an seine 2 leibliche Schwestern Marianna von Wedel Tuczinska, zweymal verehelicht gewesene von Mycielska und von Radonska, und Anna geborene Tuczinska verehelichte Niemoiewska Castellanin von Bromberg. Diese letztere resignirte in beiliegendem Documente von Anno 1719 ihrer leibl. Schwester[,] der vorgenannten Marianna geborene von Tuczinska[,] vor eine Summa von Viertzig Tausend Pohlnische Gulden, über welche Summa Empfang die gedachte Anna im obigen Instrumente der Marianna theils quittirt[,] theils das Risiduum zur Bezahlung derer Schulden [nicht lesbar]. Zu bemerken ist hierbei daß in dieser Resignation nicht allein das Guth Martzdorf[,] sondern auch die Stadt Tuez und die Dorfschaften Stybe, Ruschendorf, Mellentin, Marta, Knackendorf, Złotowo, Stralenberg, Lubsdorf, Schultzendorff, Armsdorff, Bytin, Dreez, Nakel, Stręcznow, [RS] Pilawka, Brunk, Dyk und Neumühl enthalten sind. Nach dem Tode dieser Marianna zuletzt verehelicht gewesene von Radonska fielen diese gesammten Güther ihrem einzigen am Leben gebliebenen Sohn erster Ehe, dem Cron-Truchses Joseph von Mycielski als ein Eigentum zu. Dieser von Mycielski starb ebenfalls ohne Leibes Erben, seine beiden nachgebliebenen leibl. Schwestern

  1. die Theresia von Myczielska verehelichte Castallanin von Przement von Skorozewska[,]
  2. der Constantia von Mycielska verehel. Cron Unter Stallmeisterin von Poninska

teilten sich nach beiliegendem ins Deutsche übersetzte Instrument von 1746 solches wie mehreren besagt in die gesamten Güther dergestalt, daß die Theresia die in Pohlen liegenden und die Constantia die Martzdorfschen und Nakelschen Güther zum Erb Eigentum hatte.

Constantia starb ebenfalls ohne leiblichen Erben16Nach der Darstellung auf der Webseite barbarafamily.eu starb Konstancja Agnieszka Mycielska 1759 im Alter von 58 Jahren, ihre Schwester Teresa (* 1690) im Jahr 1768., ihr Nachlaß fiel also ihrer einzigen Schwester Theresia verehelichte von Skorozewska anheim, und diese theilte noch bey ihrem Lebs-Zeiten Martzdorf[,] Tuez und [die] Nakelschen Güther unter ihre drei Kinder; in dieser Teilung traf der Franciska geborene von Skorozewska verehelicht gewesene von Kottwitz Skrzitzka Castellanin von Krzywin das Loos der Martzdorfschen Güther, welche [Blatt 25] ihr in beyl. Resignation von 1759 erblich resiginirt worden, jedoch unter der Bedingung[,] daß sie pro Parte die auf denen gesammten Güthern haftenden Schulden mit tragen mußte. An Schulden waren

  1. einem gewißen Lipski17Der Magnat und polnisch-sächsische Kron-Quartiermeister Procopius Lipski, ein naher Verwandter des Bischofs von Krakau, war lt. Wikipedia bereits am 22. März 1758 verstorben. Cron Gen.-Quartir Mstr. in Pohlen 123.000 pol. Gulden[,]
  2. denen Jesuites zu Deutsch Crone 20.000 pol. Gulden.

Von diesen Schulden sollte der dritte Teil von der Franciska von Krzycka bezahlt werden und besonders war das Guth Brunck von 40.000 pol. Gulden, welche in jener Summa der 123.000 pol. Gulden mit begriffen sind, dem gedachten Lipski zur Special-Hypotheque verschrieben, wovon das nähere bey dem Gute Brunck gesagt werden wird. Diese 40.000 pol. Gulden waren derjenige dritte Teil, so von dem Martzdorffschen Schlüßel zur Tilgung der Lipskischen ganzen Schuld laut Resignation beigetragen werden mußte.

Zu dem Capital derer Jesuites in Dt. Crone muß von den Marzdorffschen Güthern als der in der Resignation bestimmte dritte Teil 1244 rtl. 40 Ggr. pol. bezahlt werden, dies ist geschehen laut beiliegender Quittung vom 13. July 1781[,] alwo auch über die rückständigen Zinsen dieses Capitals mit quitiret worden. [RS]

Quittung über die Rückzahlung der Jesuiten-Gelder von 1781

Daß der gedachte Lipski und deßen Erben an sämtl. Martzdorffschen und den übrigen ehedem zugehörigen Güthern jetzt nichts mehr zu fordern hat, beweiset beyl. General-Quittung von Anno 1761.

Hierdurch wäre also der Titulus Possessionis von dem Gute Martzdorff bis auf die verstorbene Mutter derer v. Krzyckischen Geschwister belegt, und würde Jenen künftig bes. zu suppliren seyn, wer von ihnen Besizzer dieser Güther seyn soll.

4tens. Zu welchem Preise das Guth eigentl. acquirirt ist, läßt sich nicht bestimmen, weil es von undenkl. Zeiten her beständig in der Familie gewesen, und für den Preiß wofür es ein gewißer v. Wedel Tuczinsky erkauft[,] kann jetzt gar nicht mehr consideriret werden.

Die Gebäude welche hier18Hier bezieht sich offenbar auf Marzdorf selbst, das Vorwerk Dreetz und Böthin. befindlich, sind drei herrschaftl. Wohngebäude, vier Häußer mit drey Stuben, ein Vorwerckshauß mit drei Stuben, ein Brau-Hauß, ein Brandthauß, drei Haußinnen-Häuser19Hausinnen, Büdner, Instmänner und Einlieger besaßen kein eigenes Land und zählten zu den zu Handdiensten verpflichteten Untertanen auf den Dörfern. Karl Friedrich von Benekendorff: Oeconomia forensis oder kurzer Inbegriff derjenigen Landwirthschaftlichen Wahrheiten welche allen sowohl hohen als niedrigen Gerichts-Personen zu wissen nöthig, Bd. 8, Berlin 1784, S. 516., drei Scheunen, eine Schmiede, drei Pferde[-], ein langer Stall und zwey Fächer Vieh-Ställe, auch eine Vorraths-Cammer, und sämtl. übrigen Gebäude so in diesem Dorffe vorhanden, sind noch nicht in die Feuer-Societät eingetragen.

Eine Taxe von diesem Gute, ist durch den [Blatt 26] Stadt Secretair Kennemann20Der cand. jur. August Gotthilf Ehrenfried Kennemann wurde im April 1775 vom Magistrat zum Stadt- und Gerichtssekretär von Deutsch Krone gewählt, aber im Dezember 1778 wegen verschiedener Amtsvergehen mit vier Wochen Gefängnis bestraft. Trotz dieser Vorstrafe wählte der Magistrat ihn im November 1781 zum Justizbürgermeister. Da die Wahl durch den König nicht bestätigt wurde, amtierte Kennemann bis zu seinem Tod am 6. März 1793 als Stadt- und Gerichtssekretär in Deutsch Krone. Adolf Sperling: Geschichte des Kreises und der Stadt Deutsch Krone, Köln 2001, S. 196 ff. zu deutsch Crone aufgenommen, aber noch nicht approbiret worden. Der Werth dieses Gutes nach einer aus denen über diese Güther geführten Administration Rechnung aufgenommenen Taxe à 6 pCent zum Capital gerechnet excl. der Jagd-Gerechtigkeit [und] der Jurisdiction betragen nach der Rechnung vier und zwanzig Tausend vierzehn Rthl. 34 Gr. 9 ₰21Die Taxe von 24.014 Talern weicht sehr von den 42.553 Talern ab, auf die Onuphrius von Krzycki den Wert von Marzdorf schätzte..

5tens. Zu diesem Guthe gehört außer dem herrschaftl. hier befindl. Vorwerke, und dem Dorff Marzdorf selbst, die Schäfferey Bethien, welche auf dem Martzdorffschen Feldmark gelagert, und bereits in jener Taxe mitbegriffen ist, allwo 900 St. herrschaftl. Grund-Schaaf gehalten werden. Auch gehört hierzu noch das Vorwerck Drez[,] welches über den See Betin eine halbe Meile entfernt liegt, 270 Rthl. Pacht trägt, und nach einem vom Stadt Secretair Kennemann gefertigten Aufschlage per 6 pCent für 3745 Rthl. 78 Gr. 9 ₰ Werth seyn soll.

In diesem Dorfe ist ein frey gekaufter Krug, drei frei gekauften Koßätener, ein Zinß Schulz, zwei Zinßbauern, achtzehn Dienst Bauern und sechs Dienst Coßäten ohne die Haußinnen. Sämtliche vorgedachte Einwohner sind Unterthanen, und dürfen ohne Erlaubniß der Grund Herrschaft nicht aus dem Gebiete ziehen. Der Krüger giebt für die Dantziger Reise 10 rth. seyn Zehntel. Vom ganzen Dorffe Marzdorff kommt jährl. ein an Maß Roggen[:] Ein hundert neun und dreißig Scheffel, an Huben Gerste acht und Vierzig Scheffel, an Huben Haaber acht und vierzig Scheffel alles Tuezsches Maaß. An Zinßen hundert Neunzehn Rthl. 4 ₰.[RS] An Zehnten vom Vieh lt. Fractionem Neun und von dem Brenner lt. Fract. Fünf Rthl. Ungetheilt vom Schäffer Eilf Rthl[.] Ein und Zwanzig Stk. Zinß Gänse[,] ein hunderfünfzig Stk. Zinß Hüner[,] zehn Schock Eyer[,] eine Frei-Ganz.

Hiernägst sind die Einsaßen von den Dörffern Martzdorf und Lubsdorf verbunden und zwar Marzdorf von Maria Verkündigung bis Martini22Das heißt vom 25. März bis zum 11. November des Jahres. täglich zweyfachen Dienst[,] nemlich einen Spann und einen Hand Dienst, die übrige Zeit aber nur einen entweder Spann- oder Handdienst, die von Lubsdorf aber das ganze Jahr hindurch täglich nur einen Spann-Dienst zu thun verbunden. Die Zinß Leute von Marzdorf müssen järlich vier Reisen thun und zwanzig Tage Arbeit in der Ernte; die Dienst Coßäten thun wöchentlich drey Tage Landdienste.

Dieses Guth hat die Hüthungs Gerechtigkeit im Buchen Büsch, die Mahl Gerechtigkeit in der Tuezschen Mühle sollte ursprünglich auch nach der allegirten Resigination diesem Guthe zustehen, bis jetzt ist selbige aber noch in Licte mit dem Tuezschen Dominio. In der Mellentinschen Haide ist eigentlich die Setzung dieses Guts, die dortigen Grenzzen sind aber noch nicht bestimmt reguliret; sonst wird auch aus dem Gehöltze bey Martzdorf und Dretz etwas Nuzholtz geholt. [Blatt 27]

Die Jagd, Fischerey, Brau und Brandtwein Brennerey Gerechtigkeit[,] die Jurisdiction und der Krug-Verlag stehet diesem Guthe zu; das Jus-Patronatus von der hiesigen Römisch-Catholischen Kirche aber hat die Guths-Herrschaft nicht, sondern das Probstamt Tuez setzt hier einen Comendarium mit Consenß der Herrschaft an, zumal diese Kirche eine Filia von der Tuezschen ist.
All diese Freyheiten sind bereits in der ad. No: 4 aufgeführten Texte mitbegriffen.

6tens. Onera-Regalia sind

  1. an Contribution und Remissions Geld — 210 Rthl. 67 Gr. 9 ₰[,]
  2. an Trank Steuer — 25 Rthl. 72 Gr.[,]
  3. Servitutes Personales praestationis, Dominia reservate, Dotal-Gelder, brüderl. und schwesterl. Erbgelder, Abfindungen Kinder erster Ehe, und Leibgedinge lasten auf diesem Guthe nicht.

Den 19. Novbr. 1758 hat die verstorbene Theresia Skoroszewska beyliegende milde Stiftung oder Vermächtniß dem Reformaten Kloster23In Samter bestand ein Mönchskloster der Franziskaner-Reformaten, in dem 1798 elf Mönche und sechs Laienbrüder lebten. Die Stadt Samter gehörte dem Graf von Mycielski und hatte 737 Einwohner. Historisch-statistisch-topographische Beschreibung von Südpreußen und Neu-Ostpreußen, Erster Band, Leipzig, 1798, S. 447. in der Pohlnischen Stadt Szamatul | auf deutsch Samter | gestiftet. Zu bemerken ist hierbey[,] daß diese Stiftung auf die gesamten Tuezschen Güther verschrieben worden, diese Martzdorffschen Güther zusammen würden also nur den 3ten Theil von diesem Vermächtniß geben dürfen, und das Guth Marzdorf nur seinen Teil hierzu beyzutragen haben.

In diesem Dorffe ist auch ein Hospital[,] worinnen fünf Persohnen erhalten werden auf Herrschafts-Kosten, [RS] das Hospital Gebäude hat eine Stube und fünf Cammern, ehedem bekam jeder Hospitalit zwey Brodte, jetzo bekommen sie alle drey Wochen anstatt deßen einen Tuezschen Scheffel Roggen, auch haben sie beständig zur Erndte Zeit jede Person ein Mandel Roggen und ein Mandel Gerst auch alle zusammen ein Fuder Erbsen, und jährlich 3½ Thonnen Bier ingleichen frey Brenn Holtz bekommen und auch Schuh-Geld alle zwey Jahr jede Person Fünfzehn Dittchen, dann alle drey Jahr grobes graues Tuch zur Kleidung. Die Ansetzung dieser Hospitaliten hängt ganz von der Willkür der Herrschaft ab, und die ganze Stiftung gründet sich auf gar keine Verschreibung, sondern blos in der langen Generosität und zwar mehr als fünfzig Jahr Dauer.24Zum Armenhospital in Marzdorf siehe auch meinen Aufsatz vom September 2020.

Alles dies was unter dieser No. aufgeführt ist bereits bei der Taxe ad No. 4 in Abziehung gebracht, exclusive das Hospital und das Vermächtniß ans Kloster.

7tens. Als der gegenwärtige Besitzer noch nicht bestimmt angegeben werden kann, so läßt sich auch nicht bestimmen, welche Vormundschaften oder Curatelen derselbe auf sich habe.

8tens. Eben so auch verhält es sich damit, ob er Rendant einer Königl. oder allgemeinen Casse sei, oder ein Pium Corpus administratoris, bis jetzo lasten keine Cautionen auf diesem Guthe.

9tens. Außer diesem Guthe Martzdorff und der [Blatt 27] dazu gehörigen Schäfferey Betin gehören demnach denen von Kottwitz-Krzyckschen Erben in Königl. Preuß. Landen im deutsch Cronschen Craise folgenden Güther:

  1. das Vorwerck Drez[,]
  2. das Dorf Lubsdorf[,]
  3. das Dorf und Vorwerck Brunck[,]
  4. das Dorf und Vorwerck Stybe[,]
  5. das Dorf Ruschendorf[,]
  6. das Dorf Mellentien und
  7. das Dorf und Vorwerck Stralenberg.

In Pohlen gehören diesen Erben auch noch verschiedene Güther in der Woyewodschaft Posen belegen.

Da vor der Hand bey der vorläuffigen Vernehmung zur Einrichtung des Hypothequen Wesens nichts mehr zu eruiren gewesen[,] so ward dieses Protocoll dem Comparenten nochmals vorgelesen, und da derselbe solches wörtlich genehmiget, so unterschreibet er sich eigenhändig.

Actum ut Supra
Zacha EC Müller And. Polzin Administrator

✥ ✥ ✥

Obgleich mit der Aufnahme dieses Protokolls die »Berichtigung des Hypothequen-Wesens« für das Marzdorfer Gut prinzipiell abgeschlossen war, vergingen noch sieben Jahre, bis das Westpreußische Hofgericht in Bromberg am 8. Dezember 1789 einen Eigentumstitel und einen Hypothekenschein ausstellte. Während dieser sieben Jahre konnten sich die Erben von Franciszka Anna Krzycka nicht über die Verteilung ihres Erbes einigen. Über die Zeit der Marzdorfer Erbschafts-Wirren, die letzlich sogar zwei Jahrzehnte andauerten, werde ich im nächsten Beitrag an dieser Stelle berichten.

Anmerkungen:

  • 1
    Acta des Amtsgerichts in Märkisch Friedland betr. die Einrichtung des Hypothekenwesens von dem zum Marzdorfschen Schlüssel gehörigen Allodial-Rittergute Marzdorf und dem dazu gehörigen Vorwerke Dreetz im Jahr 1782, Laufzeit 1782-1810, Fundort: Archiwum Państwowe w Koszalinie, Signatur 26/112/0/3/156, Blatt 9.
  • 2
    Rolf Straubel: Biographisches Handbuch der preußischen Verwaltungs- und Justizbeamten 1740-1806/15, München 2009, S. 1134. – Straubel datiert den Eintritt Zachas in die Schneidemühler Kreis-Justiz-Kommission irrtümlich erst auf das Jahr 1784.
  • 3
    Zacha schrieb in den Akten grundsätzlich Matzdorff, der ortsansässige Administrator Polzin hingegen Marzdorf. In dem unten zitierten Protokoll findet sich nur zu Beginn die Schreibweise Matzdorff, im weiteren Verlauf schrieb Protokollführer Müller durchgängig Martzdorff.
  • 4
    Acta des Amtsgerichts …, a. a. O., Blatt 19.
  • 5
    A. a. O., Blatt 20.
  • 6
    A. a. O., Blatt 22.
  • 7
    A. a. O., Blatt 21.
  • 8
    Ebenda.
  • 9
    A. a. O., Blatt 22 bis 28.
  • 10
    Vermutlich wurden zeitgleich oder anschließend auch ähnliche Protokolle für die verbundenen Güter Brunk, Stibbe und Strahlenberg erstellt.
  • 11
    Ludwik Bąk: Ziemia Wałecka w dobie reformacji i kontrreformacji w XVI–XVIII w., Piła 1999, S. 82.
  • 12
    Christoph Motsch: Grenzgesellschaft und frühmoderner Staat. Die Starostei Draheim zwischen Hinterpommern, der Neumark und Großpolen (1575-1805), Göttingen 2001, S. 114.
  • 13
    August Karl Holsche: Der Netzdistrikt ein Beytrag zur Länder- und Völkerkunde mit statistischen Nachrichten, Königsberg 1793, S. 214 ff. Dort auch die weiteren Zitate.
  • 14
    Schielitz heißt heute Stary Sielec und ist ein Ortsteil der Gemeinde Jutrosin im Powiat Rawicz mit etwa 250 Einwohnern.
  • 15
    Andreas Joseph von Wedel-Tuczyński starb im Juni 1717, die Teilung des Besitzes unter den Erben fand aber wohl erst 1719 statt.
  • 16
    Nach der Darstellung auf der Webseite barbarafamily.eu starb Konstancja Agnieszka Mycielska 1759 im Alter von 58 Jahren, ihre Schwester Teresa (* 1690) im Jahr 1768.
  • 17
    Der Magnat und polnisch-sächsische Kron-Quartiermeister Procopius Lipski, ein naher Verwandter des Bischofs von Krakau, war lt. Wikipedia bereits am 22. März 1758 verstorben.
  • 18
    Hier bezieht sich offenbar auf Marzdorf selbst, das Vorwerk Dreetz und Böthin.
  • 19
    Hausinnen, Büdner, Instmänner und Einlieger besaßen kein eigenes Land und zählten zu den zu Handdiensten verpflichteten Untertanen auf den Dörfern. Karl Friedrich von Benekendorff: Oeconomia forensis oder kurzer Inbegriff derjenigen Landwirthschaftlichen Wahrheiten welche allen sowohl hohen als niedrigen Gerichts-Personen zu wissen nöthig, Bd. 8, Berlin 1784, S. 516.
  • 20
    Der cand. jur. August Gotthilf Ehrenfried Kennemann wurde im April 1775 vom Magistrat zum Stadt- und Gerichtssekretär von Deutsch Krone gewählt, aber im Dezember 1778 wegen verschiedener Amtsvergehen mit vier Wochen Gefängnis bestraft. Trotz dieser Vorstrafe wählte der Magistrat ihn im November 1781 zum Justizbürgermeister. Da die Wahl durch den König nicht bestätigt wurde, amtierte Kennemann bis zu seinem Tod am 6. März 1793 als Stadt- und Gerichtssekretär in Deutsch Krone. Adolf Sperling: Geschichte des Kreises und der Stadt Deutsch Krone, Köln 2001, S. 196 ff.
  • 21
    Die Taxe von 24.014 Talern weicht sehr von den 42.553 Talern ab, auf die Onuphrius von Krzycki den Wert von Marzdorf schätzte.
  • 22
    Das heißt vom 25. März bis zum 11. November des Jahres.
  • 23
    In Samter bestand ein Mönchskloster der Franziskaner-Reformaten, in dem 1798 elf Mönche und sechs Laienbrüder lebten. Die Stadt Samter gehörte dem Graf von Mycielski und hatte 737 Einwohner. Historisch-statistisch-topographische Beschreibung von Südpreußen und Neu-Ostpreußen, Erster Band, Leipzig, 1798, S. 447.
  • 24
    Zum Armenhospital in Marzdorf siehe auch meinen Aufsatz vom September 2020.

Die Herrschaft Marzdorf im Jahr 1782

Vorbemerkung

Im März 1777 begann der preußische Staat im neu »aquirierten« Netzedistrikt mit der Einrichtung des ritterschaftlichen Hypothekenwesens, die ein Jahrzehnt später mit der Gründung der Westpreußischen Landschaft ihren Abschluss fand. Die Maßnahme geschah im Interesse des grundbesitzenden Adels, der damit rechtsverbindliche Besitztitel und staatlich abgesicherten Zugang zu zinsstabilen Krediten erhielt. Im Archiwum Państwowe in Köslin wird eine umfangreiche Akte des Amtsgerichts Märkisch Friedland verwahrt, die ursprünglich vom westpreußischen Hofgericht in Bromberg geführt wurde1Acta des Amtsgerichts in Märkisch Friedland betr. die Einrichtung des Hypothekenwesens von dem zum Marzdorfschen Schlüssel gehörigen Allodial-Rittergute Marzdorf und dem dazu gehörigen Vorwerke Dreetz im Jahr 1782, Laufzeit 1782-1810, Fundort: Archiwum Państwowe w Koszalinie, Signatur 26/112/0/3/156.. Die Akte behandelt die Einrichtung des Hypothekenwesens in der Herrschaft Marzdorf in den Jahren 1782 bis 1810 und ist eine wertvolle Quelle zur Lokal- und Reginalgeschichte des Deutsch Kroner Landes.

Marzdorf gehörte zu den vielen kleineren Herrschaften im Netzedistrikt, die ihren Besitzern »gegen vier bis sechs Tausend Thaler«2August Karl Holsche: Der Netzdistrikt ein Beytrag zur Länder- und Völkerkunde mit statistischen Nachrichten, Königsberg 1793, S. 209f. pro Jahr einbrachten und zwischen 100.000 und 150.000 Taler Wert waren. Bereits am 27. März 1777 hatte die Besitzerin der Herrschaft, Franciszka z Skoroszewskich Krzycka, ihrem Administrator Andreas Polzin eine umfassende Vollmacht zur »Einrichtung und Beantwortung der Puncten des Hypothequen-Wesens meiner Marzdorfschen Güter«3Acta des Amtsgerichts …, a. a. O., Blatt 29. erteilt. Franciszka von Krzycka lebte selbst nicht in Marzdorf; sie besaß mehrere weiteren Gutsherrschaften in Polen, in denen sie sich meist aufhielt. Die eigentliche Hypothekenakte beginnt am 25. Oktober 1782 als ihr Sohn Onuphrius von Krzycki dem Hofgericht in Bromberg mitteilte, seine Mutter sei »im Julio in Pohlen«4Laut Totenschein starb Franciszka von Krzycka am 25. Juni 1782 in Iwno im Posener Land. Acta des Amtsgerichts …, a. a. O., Blatt 121. verstorben, und »allerunterthänigst« um die »Bewilligung des Hypothequen Wesens« und des »Titulum Possessionis« für die »Marzdorfschen Erbgüter«5Acta des Amtsgerichts …, a. a. O., Blatt 10 u. 11. bat. Seinem Brief legte von Krzycki eine umfangreiche Schilderung der Verhältnisse in Marzdorf 6Acta des Amtsgerichts …, a. a. O., Blatt 12 bis 18. bei, die vermutlich Administrator Polzin erstellt hatte, und die ich im Folgenden wortgetreu wiedergebe.

Titelblatt der Hypotheken-Akte

Information zum Hypothequen-Buch

über die denen v. Kryckischen Erben zugehörigen im Cronschen Kreise belegenen combinirten Marzdorfschen Adlichen Allodial-Ritter-Güter, der Marzdorfsche Schlüssel genannt.

I. Von der Lage, Pertinentien und Gerechtsamen der Güter

  1. [Blatt 12 VS] Das Vorwerk und Dorf Marzdorf grenzt gegen Morgen mit dem adel. Gut Nakel, gegen Mittag mit dem Dorf Lubsdorf, gegen Abend mit dem Dorf Knakendorf, gegen Mitternacht mit den Dörfern Brunk und Prochnow an der Neumärkschen Gränze. Die Pertinentien und Regalien dieses Guts bestehen in einem beym Dorfe befindlichen und außerhalb dem Dorfe am jenseitigen Ufer des Sees Böthin noch besonders belegenen herrschaftl. Vorwerkes Dretz genannt, welche beyde Vorwerke jedoch nicht vermeßen sind, und in der Contributions Classification durch resp. 16 und 3 Hufen – mithin beide auf 19 Hufen angenommen worden; deren Natural-Diensten, Zinsen und Praestationen der allhie befindlichen 21 Zins- und Dienst-Bauern, imgleichen von 6 Koßäthen; so wie auf deren Natural-Diensten, Zinsen und Praestationen der 17 Zins- und Dienst-Bauern aus dem Dorfe Lubsdorf. Es befindet sich allhie ein herrschaftlichen Wohnhaus von Holz erbauet, und die nöthigen Wirtschafts-Gebäude, imgleichen einige Obst- und Gekoch-Gärten auch [RS] eine Schäferey, welche außerhalb des Dorfes am See Böthin erbauet ist. Die Privilegien und Gerechtsame des Dorfes bestehen in der hohen und niedern Gerichtsbarkeit, dem Patronat-Rechte über die im Dorfe befindliche römisch-katholische Kirche, in der Zehend-Gerechtigkeit von denen Unterthanen, und in der Metzfreyen Mahlgerechtigkeit auf der Tuetzschen Mühle über welche Mahl-Gerechtigkeit jedoch gegenwärtig mit dem Tuetz Dominio ein besonderer Rechtsstreit obwaltet; der Brau-Branntweinbrennerey- und Krugverlag- der höheren, mittleren und kleinen Jagd-Gerechtigkeit. Ferner hat dieses Gut auch gute Fischerey und etwas Mastholz, imgleichen die freye Hütungs-Gerechtigkeit reciproce auf den benachbarten Feldmarken und [Textverlust] Brüchen.
  2. Das Zins- und Dienst-Dorf Lubsdorf woselbst kein herrschaftliches Vorwerk befindlich ist, gränzt gegen Morgen mit Harmelsdorf, gegen Abend mit Knakendorf, gegen Mittag mit Stibbe und gegen Mitternacht mit Marzdorf. Aus diesem Dorfe sind die Einsaßen, ihre Dienste, Zinsen und sämmtl. Praestanda auf dem Hauptgute Marzdorf zu leisten, verbunden. Die Privilegia und Gerechtsame dieses Guts sind eben so, wie bey dem Haupt Gute Marzdorf. [Blatt 13 VS]
  3. Das Adel. Rittergut Brunk gränzt gegen Morgen mit dem Dorf Prochnow in der Neumark, gegen Abend und Mitternacht mit dem Dorfe Henkendorf, und gegen Mittag mit Marzdorf. In diesem Dorfe befindet sich ein unvermeßenes herrschaftl. Vorwerk, welches in der Contributions-Classification auf 7 Hufen angenommen ist, eine Schäferey und die nöthigen Wirtschafts-Gebäude. Die Pertinentien und Regalien dieses Guts sind die Zinsen, Natural-Dienste und übrigen Praestanda der Einsaßen dieses Dorfes. Die Privilegia und Gerechtsame dieses Guts bestehen, so wie bey Marzdorf, in der hohen und niederen Gerichtsbarkeit, dem jure Patronatus über die im Dorfe befindliche römisch-katholische Kirche, der Zehnend-Gerechtigkeit von denen Einsaßen des Dorfes, der Brau- und Branntweinbrennerey- und Krug-Verlag-Gerechtigkeit im Dorfe, der Hütungs-Gerechtigkeit auf dem zwischen Brunk und Knakendorf liegenden Gränzbruche, imgleichen die Holz- hohe- mittlere und kleinere Jagd-Gerechtigkeit in deren zu den übrigen combinirten Marzdorfschen Gütern gehörigen Wäldern, welche in ungetheilten Gränzen mit denen zu denen Tuetzschen und Nakelschen Gütern belegenen Wäldern zur Zeit noch in Communion stehen. [RS]
  4. Das Adel. Rittergut Stibbe gränzt gegen Morgen mit dem Dorfe Harmelsdorf, gegen Abend mit der Stadt Tuetz, gegen Mittag mit dem Dorfe Stralenberg, gegen Mitternacht mit dem Dorfe Lubsdorf. In diesem Dorfe befindet sich ein herrschaftliches Vorwerk, welches unvermeßen, und in der Contributions-Clasification auf 14 Hufen angenommen ist, eine Schäferey, und die nöthigen Wohn- und Wirtschafts Gebäude, ingleichen einige Obst- und Gekoch-Gärten. Es gehören zu diesem Gute auch zwey Seen und die Pertinentien, Regalien und Gerechtsame dieses Guts bestehen in den Zinsen, Natural-Diensten und übrigen Praetationen von den im Dorfe Stibbe befindlichen gesammten Einsaßen; nicht weniger [sind] die Zins- und Dienst-Dörfer Ruschendorf und Mellentin ihre bestimmten Naturaldienste bey diesem Vorwerk Stibbe zu leisten verbunden, der hohen und niederen Gerichtsbarkeit, dem jure patronatus, der Zehend-Gerechtigkeit von denen Unterthanen, und der Metzfreyen Mahl-Gerechtigkeit in der Tuetzschen Mühle, worüber doch gegenwärtig, und über 3 zu diesem Vorwerk in Stibbe gehörigen Wiesen ein besonderer Vindications-Prozeß mit dem Dominio zu Tuetz schwebt, der Holz-Gerechtigkeit in deren zu den übrigen combinirten Marzdorfschen, Tuetz- und Nakelschen Gütern gehörigen Wäldern, welche zur Zeit noch [Blatt 14 VS] in Communion steht, der Brau-Branntwein-Brennerey- und Krugverlag-Gerechtigkeit im Dorfe Stibbe und deren dazu gehörigen Zins- und Dienst-Dörfern Ruschendorf und Mellentin; ferner der hohen, mittleren und kleinen Jagd-Gerechtigkeit.
  5. Das Dienst- und Zins-Dorf Ruschendorf gränzt gegen Morgen mit dem Dorfe Dyk, gegen Mittag mit Mellentin, gegen Abend mit dem Dorfe Mehlgast, und gegen Mitternacht mit Stralenberg. Es ist in diesem Dorfe kein herrschaftl. Vorwerk, sondern die Einsaßen deßelben müßen ihre Dienste beym Vorwerk Stibbe liefern, und ihre Geld- und Natural-Zinsen an das Hauptgut Marzdorf abführen. Der Krug in diesem Dorfe wird aus Stibbe und Marzdorf mit Getränk verlegt. Bey diesem Dorfe befindet sich ein unschulicher Fichten-Wald, welcher mit dem Tuetzschen, Nakelschen und dem dazu gehörigen Dykschen Walde noch in Communion steht. Die Gerechtsame dieses Dorfes bestehen in der hohen und niederen Gerichtsbarkeit, dem jure patronatus über die im Dorfe befindliche römisch-katholische Kirche, der hohen, mittel- und kleinen Jagd-Gerechtigkeit, der Krug-Gerechtigkeit, und der Zehend-Gerechtigkeit von denen Einwohnern dieses Dorfes, auch der Metzfreien Mahlgerechtigkeit, so wie die Stibsche. [RS]
  6. Das Dienst- und Zins-Dorf Mellentin gränzt gegen Morgen mit Dyk, gegen Mittag mit Nikosken und Eichfier, gegen Abend mit Mehlgast, und gegen Mitternacht mit Ruschendorf. Die Einsaßen dieses Dorfes müßen ihre Zinsen und Natural-Praestanda an das Hauptgut Marzdorf abführen und ihre bestimmten Dienste beym Vorwerk Stibbe leisten, weil in diesem Dorfe kein herrschaftl. Vorwerk vorhanden ist. Der Krug wird allhier von dem Hauptgut Marzdorf und Stibbe mit Getränken verlegt. Bey diesem Dorfe befindet sich ein unschulicher herrschaftl. Fichten Wald, welcher so wie die Ruschendorfer Heide mit denen zu Tuetz, Nakel und Dyk belegenen Wäldern noch in Communion steht, in der hohen und niederen Gerichtsbarkeit, dem jure patronatus über die im Dorfe befindliche römisch-katholische Kirche, der Zehend-Gerechtigkeit von denen Einsaßen, der Fischerey- und Krugverlag-Gerechtigkeit, der hohen, mittleren und kleinen Jagd-Gerechtigkeit, der Metzfreyen Mahl-Gerechtigkeit in der Tuetzschen Mühle, welche aber itzt mit dem Dominio zu Tuetz in lite schwebt. [Blatt 15 VS]
  7. Das Dorf und Vorwerk Stralenberg gränzt gegen Morgen mit Preußendorf und Harmelsdorf, gegen Mittag mit Ruschendorf und Mehlgast, gegen Abend mit der Stadt Tuetz, und gegen Mitternacht mit Stibbe. In diesem Dorfe befindet sich ein herrschafl. Vorwerk, welches unvermeßen, und nach der Contributions Classification auf 7 Hufen angenommen ist. Bey diesem Vorwerk befinden sich die erforderlichen Wohn- und Wirtschafts-Gebäude, Obst- und Gekoch-Gärten, 3 Seen, Schäferey, auch eine Waßermühle im Dorfe, imgleichen ein Ficht- und ehemals Eichen-Wald. Die Pertinentien, Regalien und Gerechtsame des Dorfes bestehen in den Diensten, Zinsen und übrigen Natural-Praestationen der Dorfs Einsaßen, der hohen und niedrigen Gerichtsbarkeit, dem jure patronatus über die im Dorfe befindliche römisch-katholische Kirche, der Brau- und Branntweinbrennerey- und Krugverlag-, der hohen, mittlen und kleinen Jagd- der Zehend- und Metzfreyen Mahl-Gerechtigkeit in der hiesigen Waßermühle.

Alle diese vorbeschriebenen Pertinentien, Regalien und Gerechtigkeiten dieser gesammten Güter sind in deren hiebey verfügten Grundbriefen des mehreren umständlich beschrieben. [RS]

Titelseite der »Information zum Hypothequen Buch« aus dem Jahr 1782

II. Von öffentlichen Abgaben und Lasten

Von diesen gesammten Gütern wird nach dem hiebey in Abschrift angefügten Contributions Catastro jährlich an Contribution und zum Remissionsfond auch Tranksteuer an die Königl. deutsch-Cronsche Kreis-Casse entrichtet:

1.Von Marzdorf incl. Dretz und Schäferey Böthin
a. Contrib. u. Remissions Geld210 Rth67 Gr9 ₰
b. Tranksteuer25 Rth72 Gr
2.Von Lubsdorf
a. Contrib. u. Remissions Geld55 Rth78 Gr13 ₰
b. Tranksteuer8 Rth48 Gr
3.Von Brunk
a. Contrib. u. Remissions Geld92 Rth67 Gr9 ₰
b. Tranksteuer4 Rth72 Gr
4.Von Stibbe
a. Contrib. u. Remissions Geld153 Rth22 Gr
b. Tranksteuer3 Rth36 Gr
5.Ruschendorf
a. Contrib. u. Remissions Geld51 Rth45 Gr
b. Tranksteuer8 Rth24 Gr
6.Mellentin
a. Contrib. u. Remissions Geld66 Rth56 Gr4½ ₰
b. Tranksteuer12 Rth24 Gr
7.Stralenberg
a. Contrib. u. Remissions Geld89 Rth
b. Tranksteuer6 Rth30 Gr
[Summa]7Bis 1821 war in Preußen nur der Reichstaler (Rth) normiert, in den Provinzen galten unterschiedliche Kleinmünzsysteme. In Westpreußen und im Netzedistrikt entsprach ein Reichstaler 90 Groschen (Gr) zu je 18 Pfennigen (₰). Arnold, Küthmann, Steinhilber: Großer Deutscher Münzkatalog, 2018, S. 8. 789 Rth13 Gr9½ ₰

Außer diesen fixirten Königl. Contributions-Abgaben, u. der zum gegenwärtigen Festungs-Bau8Gemeint ist der Bau der Festung Graudenz in den Jahren 1776 bis 1789, für den besondere Steuern erhoben wurden. vorfallenden unbestimmten Kreis-Lasten sind diese Güter weiter keinen anderen adlichen Abgaben und Lasten unterworfen. [Blatt 16 VS]

III. Vom Nutzen der Güter

Nach der aus denen über diese Güter geführten Administrations-Rechnungen aufgenommenen Taxe ist der Werth nach einer resp. 3- und 6-jährigen genommenen Fraction genommenen Ertrags-Summe à 4 procent in Capital

1.von Marzdorf incl. Vorwerk Dretz cum pertinentiis42553 Rth17 Gr4½ ₰
2.von Lubsdorf6642 Rth13 Gr14¼ ₰
3.von Brunk14550 Rth45 Gr
4.von Stibbe18973 Rth60 Gr
5.von Ruschendorf6966 Rth63 Gr
6.von Mellentin9705 Rth83 Gr11¼ ₰
7.von Stralenberg9929 Rth13 ₰
Facit109321 Rth13 Gr17 ₰

IV. Namen der Besitzer und Titulo possessionis

Diese gesammte Marzdorfsche Güter, der Marzdorfsche Schlüssel genannt, sind nebst deren angränzenden Tützschen und Nakelschen so genannten Schlüsseln seit 1511 ursprünglich Familien- und Bann-Güter derer von Wedel Tuczynski gewesen. Der letztere Andreas v. Wedel Tuczynski starb 17199Andreas Joseph von Wedel-Tuczyński starb 1717; die Beisetzung fand am 15. Juni 1717 in Tütz statt. Ein Erbteilungsvertrag wurde jedoch erst 1719 verfasst. Eine Abschrift des in lateinischer Sprache verfassten Dokuments finden sich auf den Blättern 31 bis 34 der Hypotheken-Akte. ohne Leibes Erben, und es fielen nach dessen Tode die gesamten Güter an deßen leibliche Schwester Marianna von Wedel Tuczynska verehelicht gewesene von Mycielka und Radonska erblich zu. [RS]

Nach derselben Tode fielen diese genannten Güter ihrem einzigen am Leben gebliebenen Sohn, dem Kron-Truchseß Joseph von Mycielski als ein Eigenthum zu. Wie dieser v. Mycielski ebenfalls ohne Leiberben mit Tode abging, theilten sich daßelbe zwo leibliche Schwestern als

  1. die Theresia von Mycielska verehelichte Castellanin von Przement v. Skoroszewska
  2. die Constantia v. Mycielska verehelichte Kron-Unterstallmeisterin v. Poninska

nach dem sub № 1 hierbey gefügten Theilungs-Instrument im Jahre 174610Der in polnischer Sprache verfasste Erbteilungsvertrag, der am ersten Samstag nach dem Fest des heiligen Jakob im Jahr 1746 (also am 30. Juli 1746) vor dem Posener Grodgericht abgeschlossen wurde, findet sich auf den Blättern 37 bis 42 der Akte., von welchem wir deutsche Uebersetzung ad Acta zu nehmen gebehten wurden, in diese gesamten brüderlichen Güter. Die sub 1. benannte Theresia erhielt hiernach die in Polen liegenden, und die sub 2 aufgeführte Constantia die Marzdorf- Tuetz- und Nakelschen Güter zum Erbeigenthum.

Nach dem unbeerbt erfolgten tödlichen Hintritt dieser erwähnten Constantia von Mycielska verehelicht gewesene von Poninska sind die gesammten Güter, nämlich die Marzdorf- Tütz- und Nakelschen, ihrer [Blatt 17 VS] ältesten Schwester der verehelicht gewesenen Theresia v. Skorszewska erblich zu. Und diese Theresia v. Skoroszewska als meine und meiner Geschwister leibl. Großmutter machte unter ihren Leibes-Erben noch bei ihrem Leben im Jahr 1759 eine Theilung der Marzdorf- Tuetz- und Nakelschen Güter; nach welcher selbige die Marzdorfschen Güter, besagen der Resignation sub № 2, so wie selbige darinnen benannt sind, ihrer leibl. einzigen Tochter, meiner leibl. Mutter, der verstorbenen Castellanin von Krzywin, Francisca gebohrene von Skoroszewska verehelicht gewesene von Kottwitz-Krzycka im Jahr 1759 erblich resignirt11Der in polnischer Sprache verfasste Teilungsvertrag, der am vierten Tag nach Misericordias Domini 1759 (also am 3. Mai 1759) vor dem Posener Grodgericht abschlossen wurde, findet sich in zwei Abschriften auf den Blättern 52 bis 55 sowie 117 bis 120 der Akte..

Besagen des Kauf-Contracts vom 19ten Octobr. 1781 sub № 3 kaufte meine sel. Mutter die verwitwet gewesene Castellanin v. Krzycka gebohrene v. Skoroszewska noch das Gut Stralenberg, welches ehemals zum Nakelschen Schlüssel gehörte, von dem v. Blankenburg auf Nakel und Friedland zu ihrem Marzdorfschen Schlüssel für ein Kaufpretium von 43.000 Fl. polnisch hinzu. Nach [RS] dem Tode dieser meiner leibl. Mutter bin ich mit meinen 3. Geschwistern derselben Erbe und Besitzer dieser Güter geworden; wovon ich doch noch die Abfindung in Annahme des Mutter-Erbtheils an meine übrigen 3. Geschwister nach der nächstens dieserhalb zu vollziehenden Auseinandersetzung zu bewirken verbunden bin.

V. An Real-Verbindlichkeiten, eingetragene Schulden, Cessions und Verpfändigungen

Auf diesen gesammten Gütern lasten als eine Real-Schuld, und wird zur Eintragung im Hypothequen Buch bis zur Bezahlung hiermit anerkannt:

  1. das zur Zeit noch zu bestimmende Mutter-Erbtheil meiner leibl. Geschwister
    • der verstorbenen Theresia v. Krzycka verehelicht gewesene v. Grudzinska nachgelassenen beiden Kindern,
    • die Eleonora von Krzycka verehelichte v. Grabska,
    • der Joseph v. Krzycki.
  2. das dem Baron Carl Dionysius v. Blankenburg auf Märkisch-Friedland als ein Residium des Kauf-Pretii des Gutes Stralenberg dannach schuldige Capital von 40000 polnischen Gulden auf Stralenberg.

Außer diesen hier bemerkten [Textverlust] Schulden und Forderungen, werden keine [Blatt 18 VS] anderen und mehrere Schulden zur Eintragung agnoscirt.

VI. Von denen dem Besitzer dieser Güter zugehörigen anderen Gütern

Ich der Onuphrius von Kottwitz-Krzycki und mein jüngerer leibl. Bruder Joseph von Kottwitz-Krzycki besitzen außer diesen Marzdorfschen, demnach in der polnisch Woyewodschaft Posen folgende Güter, als:

  1. Schilitz [heute: Sielec]
  2. Briesen [heute: Brzeźno]
  3. Olendri [heute: Olęndry]
  4. Ivnow [heute: Iwno]
  5. Viktorow [heute: Wiktorowo]
  6. Russza [heute: Rujsce]
  7. Chorzalki [heute: Chorzałki]
  8. Groß-Lanke [heute: Łęka Wielka]
  9. Osfieck [heute: Osiek]
  10. Pomotzne [heute: Pomocno]
  11. Zaorli [heute Zaorle]
  12. Groß-Vilkonitz [heute: Wilkonice]
  13. Klein-Vilkonitz [heute: Wilkoniczki]
  14. Bukowitz [heute: Bukowiec]
  15. Konkolewo [heute: Kąkolewo]
  16. Wriste Holländer
  17. Alberts-Holländer

deren Werth zu 4 proct. angeschlagen beträgt ein Capital von 240.000 PF.

Marzdorf d. 18. 8br. 1782
der Castellanitz Onuphrius v. Kottwitz Krzycki als Erbe seiner Mutter der verstorbenen Castellanin v. Krzycka.

✥ ✥ ✥

Soweit die Abschrift. Der preußischen Regierung reichten die Angaben, die Onuphrius von Krzycki gemacht hatte, freilich nicht aus. Zur »umständliche Aufnahme«12Acta des Amtsgerichts …, a. a. O., Blatt 9. weiterer Informationen reiste der Kreis Justiz Actuarius Christoph Zacha im Auftrag des Bromberger Hofgerichtspräsidenten von Kleist am 19. November 1782 von Schneidemühl aus nach Marzdorf. Über die Erkenntnisse der Reise wird im zweiten Teil dieses Beitrags berichtet.

Schreiben des Bromberger Hofgerichts an Zacha in Schneidemühl

Anmerkungen:

  • 1
    Acta des Amtsgerichts in Märkisch Friedland betr. die Einrichtung des Hypothekenwesens von dem zum Marzdorfschen Schlüssel gehörigen Allodial-Rittergute Marzdorf und dem dazu gehörigen Vorwerke Dreetz im Jahr 1782, Laufzeit 1782-1810, Fundort: Archiwum Państwowe w Koszalinie, Signatur 26/112/0/3/156.
  • 2
    August Karl Holsche: Der Netzdistrikt ein Beytrag zur Länder- und Völkerkunde mit statistischen Nachrichten, Königsberg 1793, S. 209f.
  • 3
    Acta des Amtsgerichts …, a. a. O., Blatt 29.
  • 4
    Laut Totenschein starb Franciszka von Krzycka am 25. Juni 1782 in Iwno im Posener Land. Acta des Amtsgerichts …, a. a. O., Blatt 121.
  • 5
    Acta des Amtsgerichts …, a. a. O., Blatt 10 u. 11.
  • 6
    Acta des Amtsgerichts …, a. a. O., Blatt 12 bis 18.
  • 7
    Bis 1821 war in Preußen nur der Reichstaler (Rth) normiert, in den Provinzen galten unterschiedliche Kleinmünzsysteme. In Westpreußen und im Netzedistrikt entsprach ein Reichstaler 90 Groschen (Gr) zu je 18 Pfennigen (₰). Arnold, Küthmann, Steinhilber: Großer Deutscher Münzkatalog, 2018, S. 8.
  • 8
    Gemeint ist der Bau der Festung Graudenz in den Jahren 1776 bis 1789, für den besondere Steuern erhoben wurden.
  • 9
    Andreas Joseph von Wedel-Tuczyński starb 1717; die Beisetzung fand am 15. Juni 1717 in Tütz statt. Ein Erbteilungsvertrag wurde jedoch erst 1719 verfasst. Eine Abschrift des in lateinischer Sprache verfassten Dokuments finden sich auf den Blättern 31 bis 34 der Hypotheken-Akte.
  • 10
    Der in polnischer Sprache verfasste Erbteilungsvertrag, der am ersten Samstag nach dem Fest des heiligen Jakob im Jahr 1746 (also am 30. Juli 1746) vor dem Posener Grodgericht abgeschlossen wurde, findet sich auf den Blättern 37 bis 42 der Akte.
  • 11
    Der in polnischer Sprache verfasste Teilungsvertrag, der am vierten Tag nach Misericordias Domini 1759 (also am 3. Mai 1759) vor dem Posener Grodgericht abschlossen wurde, findet sich in zwei Abschriften auf den Blättern 52 bis 55 sowie 117 bis 120 der Akte.
  • 12
    Acta des Amtsgerichts …, a. a. O., Blatt 9.

Kalixtus von Grabski 1783-1835

Teil 3 – Weiteres Unglück und früher Tod

Kalixtus von Grabski war als Nachfahre der Tützer Wedel (Wedel-Tuczyński) der letzte Erbherr der Herrschaft Marzdorf. Teil 1 dieser biografischen Skizze behandelt sein Leben bis ins Jahr 1818; Teil 2 berichtet vom Verlust der Marzdorfer Güter, die nach der Zwangsversteigerung im Sommer 1833 an Carl Friedrich Kloer fielen.

Nach dem Johannistag 1833 übersiedelte Kalixtus von Grabski mit seiner Familie nach Tütz, wo Carl von Hartmann, ein Bruder seiner Frau, noch einen kleinen Besitz von »14 Morgen Sandboden«1E. J. Krefft: Aus der Pfarrchronik von Marzdorf. In: Das Archiv, Nr. 6, August 2020. S. 9. besaß. Grabski kam jedoch nicht bei diesem Verwandten unter, sondern mietete sich in »dem Johann Hagen seinem Haus«2Johannes Dreger: Als einst das Großfeuer in Tütz wütete. In: Deutsch Kroner und Schneidemühler Heimatbrief, Nr. 10, Oktober 1957, S. 11. ein, das gegenüber der jüdischen Synagoge in der Stadtmitte lag.

Hunger berichtet in seiner Geschichte des Dorfes Brunk, das Marzdorfer Herrenhaus sei nach dem Auszug der Grabskis abgebrochen worden und das »Gekrach der einstürzenden Balken« sei die »letzte Erinnerung« an die »frühere Herrlichkeit«3Karl Hunger: Geschichte und Volkskunde des Dorfes Brunk im Kreis Deutsch Krone, Neuausgabe, Köln 2021, S. 51. gewesen. Für diese farbenfrohe Darstellung fehlt zwar jeder Beleg, aber es ist gut möglich, dass Carl Ferdinand Kloer kurz nach seinem Einzug das traditionelle hölzerne Gutshaus4Im Jahr 1782 war in Marzdorf »ein herrschaftl. Wohnhaus von Holz erbauet« vorhanden. Acta Commssionis betreffend die Einrichtung des Hypothequen Wesens von dem zum Martzdorffschen Schlüssel gehörigen Allodial-Rittergute Martzdorff im Jahr 1782. In: Archiwum Państwowe w Koszalinie, Signatur 26/112/0/3/156, Blatt 12. durch einen massiven Neubau ersetzte.

Grabski mag sein Leben als Mieter in Tütz als unbeschreibliches Elend empfunden haben. Schon im März 1833 gab er seinen diesbezüglichen Befürchtungen Ausdruck:

»Bisher habe ich mit den Meinigen nur gedarbt, es naht aber der Augenblick, wo sie und ich ein Raub des Hungers werden müssen, wenn mir an den Thüren meiner vormaligen Guts-Unterthanen nicht Mitleid das tägliche Brod reicht.«

Tatsächlich besaß er aber auch nach dem Verlust der Marzdorfer Herrschaft immer noch weit mehr, als der Großteil der Bevölkerung im Landstädtchen Tütz. So waren bei der Subhastation einige Renten ausdrücklich ausgeschlossen worden, die Grabski aus der Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse weiterhin zustanden. Von 19 Bauern aus Marzdorf und Königsgnade bezog er jährlich je 9 Reichstaler und 17 Silbergroschen, von zehn Bauern aus Lubsdorf 6 Reichstaler und 28 Silbergroschen und von acht Bauern aus Brunk 6 Reichstaler und 11 Silbergroschen5Öffentlicher Anzeiger zum Amtsblatt der Königl. Preuß. Regierung in Marienwerder, Nr. 16 vom 21. April 1843, S. 110.. Allein diese Renten beliefen sich in der Summe auf 882 Taler und 12 Silbergroschen im Jahr – das entsprach dem Einstiegsgehalt eines preußischen Regierungsrats. Selbstverständlich gab es im Tützer Haushalt der Grabskis eine Wirtschafterin6Die unglückliche Stadt Tütz. In: Danziger Dampfboot, Nr. 87, Danzig, 20. September 1834, S. 523. und die Kinder genossen eine durchaus standesgemäße Erziehung. Der Sohn Otto Konstantin heiratete später eine Adlige aus dem Wappenverband der Dołęga und war in der Lage »aus eigenen Mitteln«7Natalia Sentkowska: Genealogia z Grabu Grabskich herbu Wczele. In: Bydgoski Herold, Bydgoszcz 2013, S. 29. das Gut Kakawa in der Nähe von Kalisch zu erwerben.

Otto Konstantin von Grabski (1820-1889) Bildquelle: http://www.grabski.plewako.pl/

Am 24. August 1834 wurde Tütz durch ein Großfeuer nahezu vollständig vernichtet. Die Flammen zerstörten innerhalb kürzester Zeit 175 der 183 Wohnhäuser der Stadt, die Schulen, die Kirchen und die Synagoge; 29 Menschen kam bei dem Unglück ums Leben, weitere 30 wurden schwer verletzt8Thomas Soorholtz: 1834 – Kiedy spłonęlo Tuczno. In: Z dziejów Tuczna i ziemi tuczyńskiej, Tuczno 2022, S. 148.. Sehr bald mutmaßte man in der Stadt, dass die Frau des »verarmte[n] Graff von Grabsky aus Marzdorf […] die Täterin unseres grossen Unglücks ist«9Dreger, a. a. O., weil ihre »Wirtschafterin einen von starkem Heerdfeuer glühend gewordenen Dreifuß zur Abkühlung auf den Hof geworfen« habe, wodurch sich »zerstreutes Stroh und Heu«10Die unglückliche Stadt Tütz, a. a. O. entzündete. Ein anderes Gerücht behauptete, das Feuer sei »der Fahrlässigkeit einer Jüdin«11Der Brand in Tütz am 24. August 1834. In: Die Apostolische Administratur Schneidemühl, Hrsg: Franz Westphal, Schneidemühl, 1928, S. 70. zuzuschreiben. Die preußischen Behörden ging beiden Schuldzuschreibungen nicht nach. Sie sahen die Ursache des verheerenden Brandes vor allem in baulichen Mängeln und der Enge der städtischen Straßen12Soorholtz, 1834 – Kiedy spłonęlo Tuczno, a. a. O., S. 161.. Tatsächlich werfen die beiden Gerüchte vor allem ein grelles Licht auf die religiöse Unduldsamkeit der damaligen Zeit, denn mit der anonymen Jüdin und Frau von Grabski wurden von der katholischen Stadtgesellschaft ausgerechnet zwei nicht-katholische Frauen als mutmaßliche Täterinnen auserwählt. Frau von Grabski machte man explizit den Vorwurf, am Tag des Heiligen Bartholomäus – dem Tag des Brandes – Wäsche gewaschen zu haben.

Spendenaufruf für die Opfer des Brandes in der Schlesischen Privilegirten Zeitung vom 5. September 1834.

Besonders gehässig erscheint die Schuldzuschreibung angesichts der Tatsache, dass Frau von Grabski sich bei dem Brand schwere Verletzungen zuzog und die Familie ihre Wohnung und den gesamten Hausstand verlor. Obdachlos geworden zogen die Grabskis nach Schloppe, wo »der frühere Gutsherr Kalistus von Grabu Grabski, ehemals Besitzer der Herrschaft Marzdorf« am 18. Januar 1835 »als Einlieger […] am Nervenschlage«13Duplicat des Kirchen-Buchs der katholische Parochie Tütz für 1835, Teil C. Verstorbene. Blatt 90a, In: Archiwum Diecezji Koszalińsko-Kołobrzeskiej, Koszalin. starb. Grabski wurde in Tütz beigesetzt; er hinterließ die Ehefrau und fünf minderjährige Kinder. Ob der Schlagfluß vielleicht aus vorhergegangenen Brandverletzungen herrührte, ist nicht bekannt. Das Lebensalter des Verstorbenen gab Propst Kluck mit 51 Jahren an, tatsächlich waren es nur 50 Jahre und 7 Monate.

Todeseintrag am 18. Januar 1835 im Kirchenbuch-Duplikat von Tütz

Im Mai 1835 wandte sich Ernestine von Grabski wegen einer Unterstützung an die preußische Regierung in Marienwerder. Am 6. Mai des Jahres berichtete Regierungs-Assessor Rothe nach Berlin:

»Die verwittwete Frau v. Grabska, welche vormals als Besitzerin des großen Marzdorfer Gutes im Wohlstande lebte, hatte sich[,] nachdem ihr jetzt verstorbener Ehemann durch die Kalamitäten des Krieges und durch verfehlte Spekulationen bei Benutzung der Resultate der Regulirung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse sein ganzes Vermögen verloren hatte, nach der Stadt Tuetz zurückgezogen, hier hatte die Wittwe bereits heimathliche Rechte erlangt, als der unglückliche vorjährige Brand dieser Stadt sie ihrer letzten Habe beraubte. Die Wittwe wurde von dem Feuer so verletzt, daß sie jetzt nach ärztlicher Bescheinigung arbeitsunfähig, und der letzten Mittel beraubt ist, sich und ihrer Familie, die aus einem unversorgten, jedoch schon mehr als 14 Jahre alten Sohn und zwei Töchtern von 13 und 10 Jahren besteht, zu nähren. Die heimatliche Commune der Stadt Tuetz ist selbst aller Subleistungsmittel vorläufig beraubt […] Es bedarf daher zur Erhaltung der v. Grabska, welche, eine durchaus ehrbare Frau, jetzt in Schloppe im höchsten Elende lebt, dringend eine fortlaufende Unterstützung […], die ihr aus staatlichen Fonds zu Theil werden kann.«14Preußische Regierung Marienwerder: Acta betr. die Brandschäden in der Stadt Tütz und das Retablisement der Abgebrannten 1834-1850. In: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin, 1. HA, Rep. 77, Tit. 2690, Nr. 4, unpag. – Der Sohn war Otto Konstantin (* 1820), die 10-jährige Tochter Pauline (* 1825), die einzigen Kinder, deren Lebensdaten bekannt sind.

Rothe schlug eine monatliche Unterstützung von 4 Reichstaler für die Mutter und von einem Reichstaler für jede der beiden Töchter »bis zum vollendeten 14. Lebensjahr«15Ebenda. vor. Als aus Berlin keine Antwort kam, fasste er im August 1835 noch einmal nach. Am 3. September 1835 bewilligte die Regierung per Decretum eine Unterstützung von 72 Talern pro Jahr, die allerdings auf zwei Jahre befristet war16Ebenda.. Ernestine von Grabski lebte zu dieser Zeit noch in Schloppe, später verzog sie mit ihren beiden Töchtern nach Deutsch Krone17Krefft, Aus der Pfarrchronik …, a. a. O., S. 9..

Nach Frau von Grabski baten in den folgenden Jahren auch noch weitere Bürger von Tütz um Unterstützungen. Die Mehrzahl der Supplikaten (so z. B. die katholische Pfarrgemeinde, die Synagogengemeinde und die Schützengilde) erfuhren allerdings eine Ablehnung. Bewilligt wurden die Gnadengesuche des katholischen Pfarres (300 Taler), des Bürgermeisters Udtke (er erhielt 320 Taler) und – erst einige Jahre später – das von Carl von Hartmann. Dem Bruder von Ernestine von Grabski sprach Friedrich Wilhelm III. am 29. April 1850 per Kabinett-Ordre 100 Taler aus seinem Dispositions-Fonds zu. In der Begründung heißt es:

»Der ehemalige Besitzer der Herrschaft Tütz im Kreise Deutsch Crone, v. Hartmann […] hatte jene Herrschaft von seinem Vater, dem ehemaligen Obristlieutenant von Hartmann, geerbt. In Folge der Kriegs-Ereigniße und der späterhin eingetretenen Regulirung der guthsherrlichen und bäuerlichen Verhältniße verarmte der Bittsteller, und nachdem die Herrschaft Tütz vor etwa 20 Jahren im Wege der Subhastation verkauft worden war, erwarb derselbe ein kleines Grundstück bei Tütz, wozu er die Mittel von seinen Mitbrüdern und durch Gaben der Milde erhalten hatte. Im vorigen Jahre ist sein Wohnhaus, welches nicht versichert war, abgebrannt und jetzt lebt der von Schmerz und Sorgen gebeugte, dabei aber brave und ehrenwerthe Bittstelle ohne Obdach in der Stadt [223] von Haus zu Haus in großer Dürftigkeit.«18Schreiben des preußischen Innenministers v. Manteuffel an Friedrich Wilhelm III. v. 19. April 1850. In: Acta betr. die Brandschäden in der Stadt Tütz, a. a. O., unpag.

Am Bartholomäustag des Jahres 1834 hatten in Tütz nahezu tausend Menschen all ihr Hab und Gut durch die Brandkatastrophe verloren. Die Auswahl der besonderen Gnadenempfänger hing ganz offensichtlich weniger von der Größe der individuellen Not, sondern von der Stellung in der preußischen Gesellschaft ab. Bürgermeister, Pfarrer und adlige vormalige Rittergutbesitzer wurden bevorzugt berücksichtigt.

* * *

Nach dem Tod von Kalixtus von Grabski wurde über sein Vermögen ein »erbschaftlicher Liquidationsprozess«19Theodor Striethorst: Rechtsfälle des Ober-Tribunals. Berlin (Jonas) 1848, S. 248. eröffnet. Solche Verfahren waren nicht unüblich; sie wurden nach preußischem Recht immer dann durchgeführt, wenn ein Verstorbener sowohl Vermögenswerte als auch Verbindlichkeiten hinterließ und unklar war, welche Seite überwog. Grabskis Prozess wurde in erster Instanz vor dem I. Senat des Oberlandesgericht in Marienwerder geführt, in der zweiten Instanz vor dem Tribunal des Königreichs Preußen in Königsberg, und in der dritten Instanz am 27. September 1847 vor dem königlichen Obertribunal in Berlin entschieden20Ebenda..

Zu den Vermögenswerten, die Grabski hinterlassen hatten, zählten vor allem die bereits oben erwähnten Rentenzahlungen der Bauern in Marzdorf, Königsgnade, Brunk und Lubsdorf. Im März 1843 stellte das Oberlandesgericht in Marienwerder diese Renten zur Subhastation, wobei es einen verzinsten Taxwert von 7560 Reichstaler zu Grunde legte21Öffentlicher Anzeiger …, a. a. O., S. 110..

Als Gläubiger von Kalixtus von Grabski trat im Liquidationsprozess Carl Ferdinand Kloer auf, der sich im Verfahren durch den Kurator Justizrat Müller vertreten ließ. Kloer hatte bei der Zwangsversteigerung der Marzdorfer Herrschaft im Jahre 1832 offenbar nicht alle seine Ansprüche vollständig befriedigen können, da zuerst die Pfandbrief-Hypotheken der Westpreußischen Landschaft bedient werden mussten. Jetzt machte Kloer Ansprüche auf den Erlös der neuerlichen Subhastation geltend.

Als weitere Gläubigerin trat die Witwe Ernestine von Grabski auf, die auf diese Weise versuchte, wenigstens einen Teil des Erbes für die Familie zu bewahren. Frau von Grabski machte im Liquidationsprozess die Zinszahlungen geltend, die sie 1829 aus eigenem, ererbten Vermögen für ihren Mann geleistet hatte. Als Ehefrau fiel sie automatisch in die vierte Klasse der Gläubiger, die das preußische Recht in sieben Klassen aufteilte. Ihre Ansprüche hatten damit Vorrang vor denen ausgefallener Hypothekengläubiger und den Inhabern von Privatschuldverschreibungen sowie Buchschulden, zu denen zweifellos Carl Ferdinand Kloer zählte.

In der ersten Instanz waren Frau von Grabskis Ansprüche anerkannt worden, denn sie hatte unter Eid ausgesagt, die fraglichen Zinszahlungen aus eigenen Mitteln erbracht zu haben. In der zweiten Instanz hatten die Königsberger Richter nahezu sämtliche ihrer Forderungen abgelehnt, weil ihnen der Eid nicht genügte, Beweise für die Zinszahlung aus eigenen Mitteln aber nicht vorlagen. Im äußerst komprimierten Juristendeutsch fasste Theodor Striethorst den Streitfall zusammen, der 1847 in letzter Instanz in Berlin entschieden werden musste:

»Die Merzdorffschen [sic!] Güter des v. G. standen längere Zeit unter landschaftlicher Sequestration, und waren an die Ehefrau des v. G. verpachtet. Es hafteten auf diesen Gütern mehrere eingetragene Kapitalien, deren Zinsen die Ehefrau während der Dauer der Pacht aus ihrem eigenthümlichen, vor und während der Ehe eingebrachten Vermögen an die Gläubiger bezahlt haben will, und nun in dem über den Nachlaß ihres Ehegatten eröffneten erbschaftlichen Liquidationsprozesse die Erstattung des Gezahlten in der vierten Klasse forderte. Der Kurator bestritt die Verität der Liquidate.«22Striethorst, Rechtsfälle …, a. a. O., S. 248.

Das Preußischen Obertribunal im Kollegienhaus an der Lindenstraße 15.

Die Richter des Ober-Tribunals gingen jedoch gar nicht auf die Frage ein, ob die Ansprüche von Frau von Grabski eines Beweises bedurften. Sie entschieden aufgrund das Allgemeinen preußischen Landrechts aus dem Jahr 1794, dass in seinem Paragraf 211 bestimmte: »Was die Frau in stehender Ehe erwirbt, erwirbt sie, der Regel nach, dem Manne.«23Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, Zweiter Teil, Erster Titel. Die Gewinne, die Frau von Grabski, aus der Pacht erzielte, hatten daher ohnehin dem Mann zugestanden. Dabei spielte auch keine Rolle, dass der Ehevertrag der Grabskis eine Gütertrennung vorsah. Das Gericht formulierte:

»Die von der Liquidantin übernommene Pacht könne als ein besonderes Gewerbe derselben angesehen werden. Die Einkünfte, die sie durch dasselbe erworben habe, fielen unter die Regel der Vorschrift des §. 211. Sie seien danach von ihr dem Mann erworben worden.«24Striethorst, Rechtsfälle …, a. a. O., S. 249.

Nur ein Jahr nach diesem Gerichtsurteil starb Ernestine von Grabski in Deutsch Krone25S. J. Plewako: Kalikst Józef Maksymilian z Grabu Grabski. Internetadresse: http://www.grabski.plewako.pl/.. Das genaue Todesdatum ist nicht bekannt, genauso wenig wie ihr Geburtsdatum. Auch die Lebensdaten der beiden älteren Söhne Rudolph und Edmund liegen im Dunkel und von der zweiten Tochter, die im Jahr 1835 noch lebte, fehlt selbst der Name. Natalia Sentkowska, die 2013 im Bydgoski Herold eine »Genealogie der Grabu Grabski« veröffentlichte, konzentrierte sich in ihrer Arbeit allein auf den jüngsten Sohn Otto Konstantin der »wie sein Vater Pole blieb«, während die anderen Kinder »die Nationalität ihrer Mutter wählten«26Sentkowska: Genealogia …, a. a. O., S. 31.. Da sind sie wieder, die vorschnellen Urteile, mit denen dieser biografische Versuch begann.

Anmerkungen:

  • 1
    E. J. Krefft: Aus der Pfarrchronik von Marzdorf. In: Das Archiv, Nr. 6, August 2020. S. 9.
  • 2
    Johannes Dreger: Als einst das Großfeuer in Tütz wütete. In: Deutsch Kroner und Schneidemühler Heimatbrief, Nr. 10, Oktober 1957, S. 11.
  • 3
    Karl Hunger: Geschichte und Volkskunde des Dorfes Brunk im Kreis Deutsch Krone, Neuausgabe, Köln 2021, S. 51.
  • 4
    Im Jahr 1782 war in Marzdorf »ein herrschaftl. Wohnhaus von Holz erbauet« vorhanden. Acta Commssionis betreffend die Einrichtung des Hypothequen Wesens von dem zum Martzdorffschen Schlüssel gehörigen Allodial-Rittergute Martzdorff im Jahr 1782. In: Archiwum Państwowe w Koszalinie, Signatur 26/112/0/3/156, Blatt 12.
  • 5
    Öffentlicher Anzeiger zum Amtsblatt der Königl. Preuß. Regierung in Marienwerder, Nr. 16 vom 21. April 1843, S. 110.
  • 6
    Die unglückliche Stadt Tütz. In: Danziger Dampfboot, Nr. 87, Danzig, 20. September 1834, S. 523.
  • 7
    Natalia Sentkowska: Genealogia z Grabu Grabskich herbu Wczele. In: Bydgoski Herold, Bydgoszcz 2013, S. 29.
  • 8
    Thomas Soorholtz: 1834 – Kiedy spłonęlo Tuczno. In: Z dziejów Tuczna i ziemi tuczyńskiej, Tuczno 2022, S. 148.
  • 9
    Dreger, a. a. O.
  • 10
    Die unglückliche Stadt Tütz, a. a. O.
  • 11
    Der Brand in Tütz am 24. August 1834. In: Die Apostolische Administratur Schneidemühl, Hrsg: Franz Westphal, Schneidemühl, 1928, S. 70.
  • 12
    Soorholtz, 1834 – Kiedy spłonęlo Tuczno, a. a. O., S. 161.
  • 13
    Duplicat des Kirchen-Buchs der katholische Parochie Tütz für 1835, Teil C. Verstorbene. Blatt 90a, In: Archiwum Diecezji Koszalińsko-Kołobrzeskiej, Koszalin.
  • 14
    Preußische Regierung Marienwerder: Acta betr. die Brandschäden in der Stadt Tütz und das Retablisement der Abgebrannten 1834-1850. In: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin, 1. HA, Rep. 77, Tit. 2690, Nr. 4, unpag. – Der Sohn war Otto Konstantin (* 1820), die 10-jährige Tochter Pauline (* 1825), die einzigen Kinder, deren Lebensdaten bekannt sind.
  • 15
    Ebenda.
  • 16
    Ebenda.
  • 17
    Krefft, Aus der Pfarrchronik …, a. a. O., S. 9.
  • 18
    Schreiben des preußischen Innenministers v. Manteuffel an Friedrich Wilhelm III. v. 19. April 1850. In: Acta betr. die Brandschäden in der Stadt Tütz, a. a. O., unpag.
  • 19
    Theodor Striethorst: Rechtsfälle des Ober-Tribunals. Berlin (Jonas) 1848, S. 248.
  • 20
    Ebenda.
  • 21
    Öffentlicher Anzeiger …, a. a. O., S. 110.
  • 22
    Striethorst, Rechtsfälle …, a. a. O., S. 248.
  • 23
  • 24
    Striethorst, Rechtsfälle …, a. a. O., S. 249.
  • 25
    S. J. Plewako: Kalikst Józef Maksymilian z Grabu Grabski. Internetadresse: http://www.grabski.plewako.pl/.
  • 26
    Sentkowska: Genealogia …, a. a. O., S. 31.

Kalixtus von Grabski 1783-1835

Teil 2 – Der Verlust der Marzdorfer Güter

Kalixtus von Grabski war als Nachfahre der Tützer Wedel (Wedel-Tuczyński) der letzte Erbherr der Herrschaft Marzdorf. Teil 1 dieser biografischen Skizze behandelt sein Leben bis ins Jahr 1818. Nach dem Ende der napoleonischen Kriege hatte Grabski Ernestine von Hartmann geheiratet und sich als Gutsherr in Marzdorf niedergelassen.

Grabskis Hauptprojekt in jenen Jahren war die Modernisierung des Marzdorfer Guts, wozu notwendigerweise die Durchführung der Bauernbefreiung gehörte. Nach eigener Aussage war Grabski »einer der ersten in hiesiger Provinz, der im Jahre 1814 auf die Regulirung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse anfrug«1Brief Grabskis an Friedrich Wilhelm III. vom 3. April 1832. In: Königliches Civil-Kabinet: Reclamationen des Gutsbesitzers von Grabski, GStA PK, 1. HA, Rep. 89, Nr. 30899, Blatt 64.. Da das Regulierungs-Edikt vom September 1811 aber erst im Mai 1816 um eine Ausführungsdeklaration ergänzt wurde, verschob sich der Prozeß der Auflösung der feudalen Bindungen in Marzdorf bis in den Januar 1817. Eine detailreiche Schilderung der Umsetzung findet sich in der Pfarrchronik von Marzdorf2E. J. Krefft: Aus der Pfarrchronik von Marzdorf. In: Das Archiv, Nr. 6, August 2020. S. 10-15..

Grabski hatte sich entschlossen, das Gut und die Bauernwirtschaften in seiner Herrschaft räumlich zu trennen; er erbaute daher ein komplettes neues Dorf »aus 25 Bauerngehöften mit 30 Feuerstellen und beinahe 100 Gebäuden bestehend« auf der offenen Feldmark. Er nannte das Dorf, das »zu den schönsten in der Provinz gezählt werden mag«, Königsgnade, »in dem Vertrauen, daß die Gnade meines Allerdurchlauchtigsten Königs und Herren es mir möglich machen werde, mich dereinst der Früchte dieser Anlage zu erfreuen«3Brief Grabskis an Friedrich Wilhelm III. vom 3. April 1832, a. a. O., Blatt 64 Rückseite.. Pfarrer Krefft argwöhnte in der Pfarrchronik hinter der Aussiedlung der Marzdorfer Bauern den Einfluss von Ernestine von Grabski, die als »glühende Protestantin allen katholischen Bauern befahl, an die Grenzen des Gutes zu ziehen«4Krefft, Pfarrchronik, a. a. O., S. 9. – aber das ist kaum mehr als eine Unterstellung. Ablösung und Austuung waren die beiden Grundprinzipien der Eigentumsverleihung in Preußen; eine Trennung von Gutsbetrieb und bäuerlichen Wirtschaften machte ökonomisch Sinn und wurde auf vielen anderen Gütern ebenso durchgeführt5Interessant ist in diesem Zusammenhang die Darstellung der Herrschaft Groß Bellschwitz, die der Familie von Brünneck gehörte, in Benno Martiny: Fünfzig Jahre der Landwirthschaft Westpreußens. 1872, S. 120., S 285-306.. Ein Beispiel findet sich gleich in der unmittelbaren Nachbarschaft: Auch der Besitzer von Prochnow, Landrat von Germar, siedelte die freigewordenen Bauern seines Gutes im Verlauf der 1820er Jahre in das neugegründete Neu-Prochnow aus6Sigfrid Schneider: Die geographische Verteilung des Großgrundbesitzes im östlichen Pommern und ihre Ursachen, Leipzig 1942, S. 47..

Grabski konnte »die beträchtlichen Kosten« der Translokation nur dadurch aufbringen, dass er seine »hypothekarischen Schulden vermehrte, welches in dieser geldarmen Gegend selbst nur durch große Opfer zu bewirken war«7Brief Grabskis an Friedrich Wilhelm III. vom 3. April 1832, a. a. O.. Auch das vergrößerte Areal des Guts erforderte neue Investitionen, so musste Grabski »fünf Vorwerke«8Ebenda. – es handelte sich vermutlich um Böthin, Dreetz, Lubsdorf, Brunk und Marzdorf selbst – teilweise neu errichten und zum Ersatz der entfallenden Naturaldienste das Wirtschaftsinventar erweitern, was weitere Schulden nach sich zog. Im Rückblick sah der Marzdorfer Pfarrer Krefft in der Gründung des Dorfes Königsgnade die Ursache für den späteren Ruin Grabskis9Krefft, Pfarrchronik, ebenda. – aber diese Zusammenhang ist nicht konkludent. Die Austuung brachte dem Gut nicht nur »das bessere und geschlossenere Land«10S. Schneider, ebenda., sondern befreite es auch weitgehend von den Fürsorgelasten für die dörfliche Bevölkerung.

Nicht die »Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse« brachte Grabski in wirtschaftliche Schwierigkeiten, sondern es war die große Agrarkrise, die um 1822 in Preußen ausbrach und bis in die 1840er Jahre hinein anhielt. Die Getreidepreise, die 1817/18 einen Höchststand erreicht hatten, sanken auf etwa ein Drittel herab11B. Martiny, a. a. O., S.156, die Folge war »eine steigende Zahl von Zwangsvollstreckungen und ein allgemeiner Kreditmangel in der Landwirtschaft«12Herbert Pruns: Staat und Agrarwirtschaft 1800-1865, Subjekte und Mittel der Agrarverfassung und Agrarverwaltung im Frühindustrialismus. In: Berichte über Landwirtschaft, Zeitschrift für Agrarpolitik und Landwirtschaft [Hrsg.: Landwirtschaft und Forsten Bundesministerium für Ernährung], Neue Folge, Nr. 194 [Sonderheft], Hamburg und Berlin 1979, S. 28.. Für Grabski kamen noch »Unglücksfälle aller Art, als Mißärndten, Viehsterben usw.« hinzu, die schließlich dazu führten, dass er nicht mehr in der Lage war, »die laufenden landschaftlichen Zinsen zu decken«13Brief Grabskis an Friedrich Wilhelm III. vom 3. April 1832, a. a. O., Blatt 65..

JahrRoggenpreis in den östlichen Provinzen PreußensRoggenpreis in den westlichen Provinzen Preußens
1816-182057 Sgr. 11 Pf.84 Sgr. 10 Pf.
1820-183031 Sgr. 8 Pf.40 Sgr. 3 Pf.
1830-184037 Sgr. 3 Pf.49 Sgr. 9 Pf.
1840-185045 Sgr. 5 Pf.58 Sgr. 11 Pf.
1850-186062 Sgr. 5 Pf.74 Sgr. – Pf.
Durchschnittliche Roggenpreise in Preußen 1816-1820. Quelle: B. Hildebrand: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 1, Jena 1863, S. 13.

Eine erste Zwangsversteigerung der Marzdorfer Herrschaft wurde schon 1824 angedroht, konnte aber abgewendet werden, weil Grabskis Ehefrau als Pächterin des Gutes eintrat und die aufgelaufenen Zinsen in Höhe von 1.125 Talern bezahlte. Wie viele andere Güter stand auch Marzdorf seit diesem Zeitpunkt unter Zwangsverwaltung der Westpreußischen Landschaft in Schneidemühl 14Die preußischen »Landschaften« waren staatliche Kreditinstitute, die durch Pfandbriefe gedeckte Hypotheken an ausnahmslos adlige Gutsbesitzer vergaben. Siehe dazu Gustav Adolf Bergenroth: Über deutsche Anstalten zur Förderung des Kredits. Berlin 1847, S. 741.. Ein zweite Zwangsversteigerung stand 1827, eine dritte 1829 15Im Januar 1829 veröffentlichte der Allgemeine Anzeiger für die Preußischen Staaten einen ersten »Bietungstermin« für die »freien Allodial-Rittergüter Dorf Marzdorff, Dorf u. Vorwerk Brunk und Dorf Lubsdorff«, der auf den 7. Oktober 1829 terminiert war. Subhastationen. In: Allgemeiner Anzeiger für die Preußischen Staaten, Nr. 11, Berlin, 11. Januar 1829. im Raum, beide konnten verhindert werden, die letzte indem Frau von Grabski aus ihrem Erbe eine Zahlung von 1.872 Reichstaler 21 Silbergroschen für aufgelaufene Zinsen an die Landschaft leistete.16Bericht des Oberpräsidenten der Provinz Preußen, Theodor von Schön, an König Friedrich Wilhelm III. vom 3. Juli 1833. In: Königliches Civil-Kabinet: Reclamationen des Gutsbesitzers von Grabski., Königliches Civil-Kabinet: Reclamationen des Gutsbesitzers von Grabski, GStA PK, 1. HA, Rep. 89, Nr. 30899, Blatt 112.

Subhastations-Hinweis für Gut Marzdorf aus dem Anzeiger zur Allgemeinen Staats-Zeitung, Nr. 11, Januar 1829. Das Taxwert der Herrschaft Marzdorf war auf fast 73.000 Taler festgesetzt.

Die entscheidende Zwangsversteigerung wurde allerdings nicht von der Westpreußischen Landschaft betrieben, sondern vom Stadtrichter im pommerschen Labes, Carl Ferdinand Kloer17Carl Friedrich Kloer (* 12. März 1786 in Reetz; † 25. November 1857 in Liegnitz) kann als ein Beispiel für den Aufstieg aus der Beamtenklasse betrachtet werden. Schon 1808 besaß er als Justiz-Commissarius (Rechtsanwalt) in Labes »ein großes neugebautes Haus« und gehörte zu den Honoratioren der Stadt. 1812 wurde er zum Stadtrichter mit einem festen Gehalt von 180 Talern ernannt, bis mindestens 1828 war er Besitzer des Guts Roggow und in mehreren Fällen als Sequester eingesetzt. (H. Berghaus: Landbuch des Herzogthums Pommern. Berlin u. Wriezen 1874, S. 84.) Im Jahr 1827 hatte Kloer in zweiter Ehe Caroline von Bardeleben geheiratet, was einem Aufstieg in den privilegierten Adel gleichkam., der mit einer Summe von 5.721 Talern ebenfalls zu den Gläubigern von Kalixtus von Grabski gehörte. Der Allgemeine Anzeiger für die Preußischen Staaten veröffentlichte das Datum des ersten »Bietungstermins« – es war der 5. März 1831 – in der Nummer 58 vom 17. August 1830. Bei diesem ersten Termin lag nur ein Gebot vor, das Carl Ferdinand Kloer selbst abgegeben hatte. Er wollte die Herrschaft Marzdorf, deren Wert auf 72.746 Reichstaler geschätzt wurde, für 54.000 Reichstaler erwerben. Das Oberlandesgericht in Marienwerder nahm dieses erste Angebot nicht an und setzte einen zweiten Bietungstermin für den 17. September 1831 an. Auch bei diesem Termin wurde kein höheres Gebot abgegeben, doch erst bei einem dritten Termin am 18. Januar 1832 akzeptierte das Oberlandesgericht das Gebot Kloers. Der Verkauf eines Ritterguts war nur mit Zustimmung der Königlichen Regierung möglich, diese Adjudikation erfolgte am 8. Dezember 183218Brief Grabskis an Friedrich Wilhelm III. vom 18. März 1833. In: Königliches Civil-Kabinet: Reclamationen des Gutsbesitzers von Grabski, GStA PK, 1. HA, Rep. 89, Nr. 30899, unpaginiert.. Da das Gut in Marzdorf noch bis Johanni 1833 an Ernestine von Grabski verpachtet war, konnte Kloer seinen Besitz erst im Sommer dieses Jahres antreten. Er teilte gleich darauf Brunk von Marzdorf ab und übertrug diesen Besitz seinem Bruder Jean. Wenig später veräußerte Kloer auch das Vorwerk Lubshof an die Familie Marquardt.

Es ist zweifellos wahr, dass Kalixtus von Grabski am Ende seines Lebens unter Depressionen litt, »schwarze Melancholie« heißt es bei Plewako. Dazu mag neben den finanziellen Nöten auch familiäres Elend beigetragen haben, denn nach Plewako gingen aus der Ehe der Grabskis zwölf Kinder hervor – sieben Jungen und fünf Mädchen –, von denen sieben schon in der Kindheit verstarben19In den Kirchenbuchduplikaten von Marzdorf ist unter dem Datum 20. September 1824 die Geburt eines totgeborenen Sohnes des Erbherrn auf Marzdorf verzeichnet. General-Akten des Königlichen Amtsgerichts in Märk. Friedland betreffend die Kirchenbuchduplikate der Gemeinde Marzdorf 1823-1874. In: Archiwum Państwowe w Koszalinie, Signatur 609/40, Blatt 16.. Plewako nennt als Nachfahren nur den jüngsten Sohn Otto Konstantin (1820; † 1889), überliefert ist aber auch die Tochter Pauline (1825; † 1878), die den Gutsbesitzer-Sohn Heinrich Wilhelm Boeck aus Harmelsdorf heiratete und mit ihm auf dem Freigut Jagdhaus bei Jastrow lebte20Deutsches Geschlechterbuch (Genealogisches Handbuch Bürgerlicher Familien). [Hrsg.: Bernhard Körner], Band 16, Görlitz 1910, S. 117., sowie die Söhne Rudolph und Edmund21Leopold von Ledebur: Adelslexicon der preussischen Monarchie. Erster Band, Berlin 1855, S. 279..

Da Grabski überzeugt war, dass ihm bei der Zwangsversteigerung von Marzdorf Unrecht widerfahren war, verfasste er am 3. April 1832, am 7. November 1832 und am 18. März 1833 drei Briefe an den »allerdurchlauchtigsten, großmächtigen König«, seinen »allergnädigsten König und Herr«, die im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin archiviert sind22Reclamationen des Gutsbesitzers von Grabski, GStA PK, 1. HA, Rep. 89, Nr. 30899.. In den Briefen warf er den preußischen Behörden in Marienwerder und Königsberg vor, sie hätten das Marzdorfer Gut unterbewertet, Alternativen zur Zwangsversteigerung nicht geprüft, den Bieterkreis bewusst kleingehalten und Kloer die Herrschaft auf diese Weise »unverhältnißmäßig billig«23Brief Grabskis an Friedrich Wilhelm III. vom 18. März 1833, a. a. O. überlassen. Auf seine Gattin und seine fünf Kinder verweisend, schrieb Grabski:

»Zu schwach sind meine Worte um Ew. Königlichen Majestät ein Bild der jammmervollen Zukunft zu entwerfen, die meiner und der Meinigen harrt, wenn man mich wirklich aus dem Erbe meiner Väter vertreiben sollte. Obgleich seit Jahren mit Entbehrungen aller Art vertraut, so schrecke ich dennoch vor dem Augenblick zurück, wo ich meine Gattin und meine 5 unmündigen Kinder des schützenden Obdachs beraubt, und mich außer Stande sehen werde, den geliebten Meinigen den nothdürftigsten Lebensunterhalt zu gewähren. Drei hoffnungsvolle Knaben sind mir geschenkt, die mit freudiger Ungeduld dem Augenblick entgegensehen, wo ihr Alter es ihnen gestatten werde, in die Reihen Ew. Königlichen Majestät Heeres einzutreten, und sich daselbst eine Stelle zu verdienen, auf die sie durch ihre Geburt angewiesen sind, doch schmerzlich würden sie sich in ihren Hoffnungen getäuscht sehen. Der nöthigsten Mittel beraubt, würde ihnen keine andere Wahl bleiben, als denselben Boden als Knechte zu bebauen, den ihre Vorfahren in einer lange Reihe von Jahren als Grundherren beseßen haben.«24Brief Grabskis an Friedrich Wilhelm III. vom 3. April 1832. In: Reclamationen des Gutsbesitzers von Grabski, GStA PK, 1. HA, Rep. 89, Nr. 30899, unpaginiert. – Es bleibt ein Rätsel, warum Grabski vom »Erbe seiner Väter« spricht. Er selbst hatte die Herrschaft von der Mutter geerbt.

Das Oberlandesgericht in Marienwerder, der preußische Finanzminister Maaßen und der Justizminister Mühler wiesen die Vorwürfe gegen das Verfahren zurück, aber es scheint doch so gewesen zu sein, dass Kloer durch seine guten Kontakte zur Justiz eine verhältnismäßig schnelle und vor allem stille Durchführung erreichen konnte. Inserate, die auf die Versteigerung hinwiesen, wurden nur im Intelligenz-Blatt für Marienwerder und in der Staats-Zeitung veröffentlicht; auf die sonst üblichen Hinweisanzeigen in den Amtsblättern25Die letzten Verpachtungen von Marzdorf und Dreetz wurden hingegen im Mai 1832 selbstverständlich auch im Amts-Blatt für Marienwerder inseriert. wurde verzichtet. Außerdem fanden die letzten beiden Bietungstermine zu einer Zeit statt, als die große Cholera-Epidemie des Jahres 1831 auch den Kreis Deutsch Krone und namentlich Tütz bedrohte26Im Oktober 1831 hatte die Cholera den Kreis Deutsch Krone erreicht, am 16. November 1831 gab es in Tütz den ersten Krankheitsfall. Karl Friedrich Burdach: Historisch-statistische Studien über die Cholera-Epidemie vom Jahr 1831, Königsberg 1832, S. 12..

Kloer profitierte zudem von den Vorgaben des Oberpräsidenten der Provinz Preußens, Theodor von Schön 27Zu Heinrich Theodor von Schön (* 20. Januar 1773 in Schreitlaugken, Kreis Tilsit; † 23. Juli 1856 auf Gut Arnau bei Königsberg i. Pr.) und seine Ideen siehe die immer noch lesenswerte Arbeit von E. W. Mayer: Das Retablissement Ost- und Westpreußens. Jena 1916, S. 37 ff., der stets auf eine rücksichtslose Durchführung von Zwangsversteigerungen drang, wenn er den Verdacht hegte, die Gutsherren seien aus eigener Kraft zu einem dauerhaften Erhalt ihres Besitzes nicht in der Lage. Obwohl Schön kein Nationalist war, hegte er antipolnische Ressentiments 28Das Schlagwort von der polnischen Wirtschaft findet sich bei Schön u. a. im Jahr 1831. Henryk Kocój: Preußen und Deutschland gegenüber dem Novemberaufstand (1830-1831), Kattowice 1990, S. 38. und wertete es im Jahr 1833 als Erfolg, dass während seiner Amtszeit »mehr als die Hälfte der polnischen Gutsbesitzer […] Westpreußen freiwillig verlassen«29Horst Mies: Die preußische Verwaltung des Regierungsbezirkes Marienwerder 1830-1870, Köln u. Berlin 1972, S. 52 ff., S. 51. – Schön betrieb in Westpreußen eine Germanisierungspolitik »im tiefen Glauben an die kulturelle Überlegenheit der Deutschen«, um »die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse […] zu verbessern«. Tzu-hsin Tu: Die Deutsche Ostsiedlung als Ideologie bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Dissertation, Kassel 2009, S. 56. habe. Die Mittel des vom ihm verwalteten Landesunterstützungsfonds von drei Millionen Taler, die König Friedrich Wilhelm III. zur Minderung der Agrarkrise in Preußen ausgesetzt hatte, kamen ausschließlich den Grundbesitzern zu Gute, die Schön zum staatstragenden »alten Stamm«30E. W. Mayer, a. a. O. 1916, S. 45. zählte; im Kreis Deutsch Krone war Landrat von Zychlinski der einzige Empfänger31Er erhielt bereits 1828 4 .000 Taler. Peter Böhning: Die nationalpolnische Bewegung in Westpreußen 1815-1871. Marburg/Lahn 1973, S. 221..

Titel und Schluss des Briefes Grabskis an König Friedrich Wilhelm III vom 18. März 1833

In Grabskis Fall lehnte von Schön alle Hilfsersuchen ab, auch die zuletzt erbetene Summe von 4.880 Taler, deren Gewährung zum Erhalt des Erbbesitzes die Landstände des Kreises Deutsch Krone befürwortet hatten32Briefkonzept Friedrich Wilhelm III. an Theodor von Schön vom 11. Dezember 1832. In: Reclamationen des Gutsbesitzers von Grabski, GStA PK, 1. HA, Rep. 89, Nr. 30899, unpaginiert.. Gleichfalls abschlägig beschied von Schön die Bitte von Frau von Grabski um Unterstützung nach der erfolgten Eigentumsübertragung an Carl Friedrich Kloer; in seiner Begründung aus Königsberg vom 3. Juli 1833 findet sich folgende boshafte Formulierung:

»Die Frau von Grabsky hielt sich für wohlhabend, richtete ihre Lebensweise danach ein, und als auf den Antrag eines eingetragenen Gläubigers das Gut Martzdorff verkauft werden mußte, zeigte es sich, daß kein Vermögen da war. Anspruch auf Unterstützung aus Staatsfonds hat diese Familie nicht.«33Bericht Schöns aus Königsberg vom 3. Juli 1833. In: Ebenda.

Diese Aussage lässt erahnen, dass Schön sich durch Vorurteile leiten ließ und über die tatsächlichen Verhältnisse nicht informiert war. Nach allem, was wir wissen, war Ernestine von Grabski eine keinesfalls dünkelhafte, jedoch besonders fleißige Frau. Karl Hunger fasste 1936 zusammen, welche Erinnerung an sie das kollektive Gedächtnis der Brunker Bevölkerung bewahrte:

»Frau von Grabska muss eine ziemlich resolute Frau gewesen sein. Es wird ihr nachgesagt, dass sie außerordentlich arbeitsam war. Bei ihren misslichen Verhältnissen, die ihr nicht gestatteten, einen Inspektor zu halten, und bei der Indolenz ihres Mannes[,] beaufsichtigte sie selbst die Leute, stand früh auf, um besonders zur Erntezeit mit den Arbeitern auf das Feld zu gehen, zog sogar mit den Mägden und Frauen nach dem Vorwerke Brunk, um dort das Getreide einzuheimsen. Doch dieser persönliche Fleiß war nicht imstande, dem Ruin abzuhelfen.«34Karl Hunger: Geschichte und Volkskunde des Dorfes Brunk im Kreis Deutsch Krone, Neuausgabe, Köln 2021, S. 52

Von Schöns Ausfall abgesehen, wurde Grabskis »Reclamation« in Berlin sorgfältig und durchaus nicht ohne Mitgefühl geprüft. Vor allem König Friedrich Wilhelm III. scheint den Übergang der Marzdorfer Herrschaft in bürgerliche Hände nur ungern genehmigt zu haben; er drang lange auf ein »Arrangement […] zwischen dem v. Grabski u. seinem Gläubiger Justizrath Klör«, um den »Schuldner dadurch im Besitz seiner Güter« zu halten35Briefkonzept Friedrich Wilhelm III. an Theodor von Schön vom 11. Dezember 1832. In: Ebenda.. Am Ende wurde die Ablehnung von Staatshilfen juristisch begründet; die Formel dazu hatte Justizministers Mühler im März 1832 vorgegeben:

»Die angeblichen Verdienste, die Sie [Grabski] sich durch die bei dem Gute gemachten Anlagen um den Staat erworben haben wollen, so wie die im Laufe der Zeit Sie betroffenen Unglücksfälle, dürfen auf die den eingetragenen Gläubigern zustehende Rechtsverfolgung nicht includiren.«36Brief des preußischen Justizministers Heinrich Gottlob Mühler an Kalixtus von Grabski vom 22. März 1832. In: Ebenda.

Als der Verkauf von Marzdorf bereits genehmigt war, bemühte sich Kalixtus von Grabski, ein »Dominial-Vorwerk in Posen oder die Oberförsterei Wildenow bei Landsberg« in Erbpacht zu erhalten. »Von Jugend auf für die Bestimmung des Landwirths erzogen, vermag ich nur als Landmann Nützliches zu wirken, und darf noch hoffen, die Existenz meiner Familie sicher begründen zu können, falls mir die Mittel werden, eine wenn auch nur kleine Landwirtschaft zu betreiben«37Brief Grabskis an die königliche Regierung vom 18. März 1833. In: Ebenda., schrieb er am 18. März 1833 an die königliche Regierung. Aber auch diese Pläne scheiterten im Verlauf des Jahres 1834, da Grabski die 2.000 Taler Kapital fehlten, die bei der Übernahme eines »Erbpacht-Etablissements […] zur Anschaffung des Wirtschafts-Inventars«38Brief des Finanzministers Karl Georg Maaßen an den König vom 3. Juni 1834. In: Ebenda. erforderlich waren. Lediglich zur Gewährung einer Zahlung von 100 Talern aus dem königlichen Dispositionsfonds »zum Erhalt der fünf Kinder« konnte sich die Regierung am 28. Juli 1834 entschließen.39Konzept eines Schreiben des Königs an Finanzminister Maaßen vom 28. Juli 1834. In: Ebenda.

Von einer möglichen antipreußischen Einstellung Grabskis ist in der umfangreichen Akte nirgendwo die Rede. Im Gegenteil: Grabski bekennt sich mehrfach als treuer Anhänger der preußischen Monarchie, der auch »seine drei Knaben zu nützlichen Menschen und treuen Unterthanen«40Brief Grabskis an Friedrich Wilhelm III. vom 18. März 1833. In: Ebenda. erziehen will. Kein Dokument der Akte gibt einen Anhalt dafür, dass »die polnischen Besitzer vom preußischen Staat enteignet« wurden, wie es Czesław Piskorski im Jahr 1980 behauptete41Czesław Piskorski: Marcinkowice – jedna z siedzib rodu Wedlów-Tuczyńskich [Marzdorf – einer der Sitze der Familie Wedel-Tuczynski]. In: Jantarowe Szlaki. Kwartalnik Turystyczno-Krajoznawczyk (Województw Północnych). [Hrsg.: PTTK], 23. Jahrgang, Heft 1 (175), Gdańsk, 1980, S. 36.. Genau wie bei den benachbarten Herrschaften Tütz und Prochnow (Zwangsversteigerung 1841) war die Subhastation der Marzdorfer Güter ein Resultat der Agrarkrise, deren Auswirkungen – nicht nur auf den Adel, sondern vor allem auf den Bauernstand – den preußischen Staat freilich zutiefst überforderten. Das Fazit dieser Krise zog Wilhelm Vallentin 1893:

»Besonders 1824-26 wurde infolge schlechter Ernten, niedriger Getreidepreise und gänzlicher Kreditlosigkeit der Wohlstand des Landes tief untergraben, und viele Besitzer sahen sich genötigt, ihr Besitztum mit dem Verluste ihres ganzen Vermögens zu verlassen. Nicht einmal die geringen grundherrlichen Abgaben konnten aufgebracht und ganze Herrschaften mussten für geringes Geld verkauft werden. So standen 1826 ein Dritteil aller ›bepfandbrieften Güter‹ und 87 bäuerliche Nahrungen in der Subhastation, 760 wurden als solche bezeichnet, deren Zustand so zerrüttet war, dass die Wirte sich nicht halten konnten […] Erst am Ende des dritten und am Anfange des vierten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts fing sich allmählich an ein Umschwung in den Wertverhältnisses des Besitzes kund zu thun.«42 Wilhelm Vallentin: Westpreußen seit den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte der Entwicklung des allgemeinen Wohlstandes in dieser Provinz und ihren einzelnen Theilen. Tübingen, 1893, S. 32 f.

Anmerkungen:

  • 1
    Brief Grabskis an Friedrich Wilhelm III. vom 3. April 1832. In: Königliches Civil-Kabinet: Reclamationen des Gutsbesitzers von Grabski, GStA PK, 1. HA, Rep. 89, Nr. 30899, Blatt 64.
  • 2
    E. J. Krefft: Aus der Pfarrchronik von Marzdorf. In: Das Archiv, Nr. 6, August 2020. S. 10-15.
  • 3
    Brief Grabskis an Friedrich Wilhelm III. vom 3. April 1832, a. a. O., Blatt 64 Rückseite.
  • 4
    Krefft, Pfarrchronik, a. a. O., S. 9.
  • 5
    Interessant ist in diesem Zusammenhang die Darstellung der Herrschaft Groß Bellschwitz, die der Familie von Brünneck gehörte, in Benno Martiny: Fünfzig Jahre der Landwirthschaft Westpreußens. 1872, S. 120., S 285-306.
  • 6
    Sigfrid Schneider: Die geographische Verteilung des Großgrundbesitzes im östlichen Pommern und ihre Ursachen, Leipzig 1942, S. 47.
  • 7
    Brief Grabskis an Friedrich Wilhelm III. vom 3. April 1832, a. a. O.
  • 8
    Ebenda.
  • 9
    Krefft, Pfarrchronik, ebenda.
  • 10
    S. Schneider, ebenda.
  • 11
    B. Martiny, a. a. O., S.156
  • 12
    Herbert Pruns: Staat und Agrarwirtschaft 1800-1865, Subjekte und Mittel der Agrarverfassung und Agrarverwaltung im Frühindustrialismus. In: Berichte über Landwirtschaft, Zeitschrift für Agrarpolitik und Landwirtschaft [Hrsg.: Landwirtschaft und Forsten Bundesministerium für Ernährung], Neue Folge, Nr. 194 [Sonderheft], Hamburg und Berlin 1979, S. 28.
  • 13
    Brief Grabskis an Friedrich Wilhelm III. vom 3. April 1832, a. a. O., Blatt 65.
  • 14
    Die preußischen »Landschaften« waren staatliche Kreditinstitute, die durch Pfandbriefe gedeckte Hypotheken an ausnahmslos adlige Gutsbesitzer vergaben. Siehe dazu Gustav Adolf Bergenroth: Über deutsche Anstalten zur Förderung des Kredits. Berlin 1847, S. 741.
  • 15
    Im Januar 1829 veröffentlichte der Allgemeine Anzeiger für die Preußischen Staaten einen ersten »Bietungstermin« für die »freien Allodial-Rittergüter Dorf Marzdorff, Dorf u. Vorwerk Brunk und Dorf Lubsdorff«, der auf den 7. Oktober 1829 terminiert war. Subhastationen. In: Allgemeiner Anzeiger für die Preußischen Staaten, Nr. 11, Berlin, 11. Januar 1829.
  • 16
    Bericht des Oberpräsidenten der Provinz Preußen, Theodor von Schön, an König Friedrich Wilhelm III. vom 3. Juli 1833. In: Königliches Civil-Kabinet: Reclamationen des Gutsbesitzers von Grabski., Königliches Civil-Kabinet: Reclamationen des Gutsbesitzers von Grabski, GStA PK, 1. HA, Rep. 89, Nr. 30899, Blatt 112.
  • 17
    Carl Friedrich Kloer (* 12. März 1786 in Reetz; † 25. November 1857 in Liegnitz) kann als ein Beispiel für den Aufstieg aus der Beamtenklasse betrachtet werden. Schon 1808 besaß er als Justiz-Commissarius (Rechtsanwalt) in Labes »ein großes neugebautes Haus« und gehörte zu den Honoratioren der Stadt. 1812 wurde er zum Stadtrichter mit einem festen Gehalt von 180 Talern ernannt, bis mindestens 1828 war er Besitzer des Guts Roggow und in mehreren Fällen als Sequester eingesetzt. (H. Berghaus: Landbuch des Herzogthums Pommern. Berlin u. Wriezen 1874, S. 84.) Im Jahr 1827 hatte Kloer in zweiter Ehe Caroline von Bardeleben geheiratet, was einem Aufstieg in den privilegierten Adel gleichkam.
  • 18
    Brief Grabskis an Friedrich Wilhelm III. vom 18. März 1833. In: Königliches Civil-Kabinet: Reclamationen des Gutsbesitzers von Grabski, GStA PK, 1. HA, Rep. 89, Nr. 30899, unpaginiert.
  • 19
    In den Kirchenbuchduplikaten von Marzdorf ist unter dem Datum 20. September 1824 die Geburt eines totgeborenen Sohnes des Erbherrn auf Marzdorf verzeichnet. General-Akten des Königlichen Amtsgerichts in Märk. Friedland betreffend die Kirchenbuchduplikate der Gemeinde Marzdorf 1823-1874. In: Archiwum Państwowe w Koszalinie, Signatur 609/40, Blatt 16.
  • 20
    Deutsches Geschlechterbuch (Genealogisches Handbuch Bürgerlicher Familien). [Hrsg.: Bernhard Körner], Band 16, Görlitz 1910, S. 117.
  • 21
    Leopold von Ledebur: Adelslexicon der preussischen Monarchie. Erster Band, Berlin 1855, S. 279.
  • 22
    Reclamationen des Gutsbesitzers von Grabski, GStA PK, 1. HA, Rep. 89, Nr. 30899.
  • 23
    Brief Grabskis an Friedrich Wilhelm III. vom 18. März 1833, a. a. O.
  • 24
    Brief Grabskis an Friedrich Wilhelm III. vom 3. April 1832. In: Reclamationen des Gutsbesitzers von Grabski, GStA PK, 1. HA, Rep. 89, Nr. 30899, unpaginiert. – Es bleibt ein Rätsel, warum Grabski vom »Erbe seiner Väter« spricht. Er selbst hatte die Herrschaft von der Mutter geerbt.
  • 25
    Die letzten Verpachtungen von Marzdorf und Dreetz wurden hingegen im Mai 1832 selbstverständlich auch im Amts-Blatt für Marienwerder inseriert.
  • 26
    Im Oktober 1831 hatte die Cholera den Kreis Deutsch Krone erreicht, am 16. November 1831 gab es in Tütz den ersten Krankheitsfall. Karl Friedrich Burdach: Historisch-statistische Studien über die Cholera-Epidemie vom Jahr 1831, Königsberg 1832, S. 12.
  • 27
    Zu Heinrich Theodor von Schön (* 20. Januar 1773 in Schreitlaugken, Kreis Tilsit; † 23. Juli 1856 auf Gut Arnau bei Königsberg i. Pr.) und seine Ideen siehe die immer noch lesenswerte Arbeit von E. W. Mayer: Das Retablissement Ost- und Westpreußens. Jena 1916, S. 37 ff.
  • 28
    Das Schlagwort von der polnischen Wirtschaft findet sich bei Schön u. a. im Jahr 1831. Henryk Kocój: Preußen und Deutschland gegenüber dem Novemberaufstand (1830-1831), Kattowice 1990, S. 38.
  • 29
    Horst Mies: Die preußische Verwaltung des Regierungsbezirkes Marienwerder 1830-1870, Köln u. Berlin 1972, S. 52 ff., S. 51. – Schön betrieb in Westpreußen eine Germanisierungspolitik »im tiefen Glauben an die kulturelle Überlegenheit der Deutschen«, um »die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse […] zu verbessern«. Tzu-hsin Tu: Die Deutsche Ostsiedlung als Ideologie bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Dissertation, Kassel 2009, S. 56.
  • 30
    E. W. Mayer, a. a. O. 1916, S. 45.
  • 31
    Er erhielt bereits 1828 4 .000 Taler. Peter Böhning: Die nationalpolnische Bewegung in Westpreußen 1815-1871. Marburg/Lahn 1973, S. 221.
  • 32
    Briefkonzept Friedrich Wilhelm III. an Theodor von Schön vom 11. Dezember 1832. In: Reclamationen des Gutsbesitzers von Grabski, GStA PK, 1. HA, Rep. 89, Nr. 30899, unpaginiert.
  • 33
    Bericht Schöns aus Königsberg vom 3. Juli 1833. In: Ebenda.
  • 34
    Karl Hunger: Geschichte und Volkskunde des Dorfes Brunk im Kreis Deutsch Krone, Neuausgabe, Köln 2021, S. 52
  • 35
    Briefkonzept Friedrich Wilhelm III. an Theodor von Schön vom 11. Dezember 1832. In: Ebenda.
  • 36
    Brief des preußischen Justizministers Heinrich Gottlob Mühler an Kalixtus von Grabski vom 22. März 1832. In: Ebenda.
  • 37
    Brief Grabskis an die königliche Regierung vom 18. März 1833. In: Ebenda.
  • 38
    Brief des Finanzministers Karl Georg Maaßen an den König vom 3. Juni 1834. In: Ebenda.
  • 39
    Konzept eines Schreiben des Königs an Finanzminister Maaßen vom 28. Juli 1834. In: Ebenda.
  • 40
    Brief Grabskis an Friedrich Wilhelm III. vom 18. März 1833. In: Ebenda.
  • 41
    Czesław Piskorski: Marcinkowice – jedna z siedzib rodu Wedlów-Tuczyńskich [Marzdorf – einer der Sitze der Familie Wedel-Tuczynski]. In: Jantarowe Szlaki. Kwartalnik Turystyczno-Krajoznawczyk (Województw Północnych). [Hrsg.: PTTK], 23. Jahrgang, Heft 1 (175), Gdańsk, 1980, S. 36.
  • 42
    Wilhelm Vallentin: Westpreußen seit den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte der Entwicklung des allgemeinen Wohlstandes in dieser Provinz und ihren einzelnen Theilen. Tübingen, 1893, S. 32 f.

Kalixtus von Grabski 1783-1835

Teil 1 – Jugend und Heirat

Der letzte Erbherr der Herrschaft Marzdorf verleitet zu vorschnellen Urteilen. Schon die Zeitgenossen – so der preußische Staatsmann Theodor von Schön – steckten ihn rasch in eine Schublade, in der ihn die Historiker des Deutsch Kroner Landes später endgültig fixierten. Sie alle schlossen vom Namen auf die Nationalität und von dieser auf die Gesinnung, die sie, je nach Standpunkt, negativ oder positiv werteten. Bei diesem Verfahren wurde aus dem letzten Erbherrn des Marzdorfer Guts entweder ein untüchtiger polnischer Gutsherr1K. Hunger: Geschichte des Dorfs Brunk. Semesterarbeit, Beuthen 1936, S. 45. oder aber ein polnischer antipreußischer Patriot2L. Bąk: Ziemia Wałecka w dobie reformacji i kontrreformacji w XVI–XVIII w. [Reformation und Gegenreformation im Deutsch Kroner Land vom 16. bis 18. Jahrhundert]. Piła 1999, S. 18..

Bei näherem Hinsehen ist jedoch schon die erste Stufe der angeblichen Kausalität nicht ganz trittfest. In den – im übrigen ausnahmslos deutschsprachigen – Briefen und Dokumenten, die vom letzten Marzdorfer Erbherrn überliefert sind, ist der Name keinesfalls eindeutig, denn sie weisen die folgenden Unterschriften auf: Im Jahr 1803 Maximilian Joseph Kalixt v. Grabski 3Immatrikulation der Brüder v. Grabski am 14.05.1803. In: Universitätsarchiv der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Matrikelbücher 1791-1806, Signatur UAHW, Rep. 46, Nr. 7., 1822 Kalixtus v. Grabsky4Dienstbrief für den Schullehrer Johann Neumann vom 17.07.1822, in: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK) in Berlin, Signatur HA XIV, Rep. 181, Nr. 8839, Seite 142., 1830 K. von Grabsky5Königl. Preußische Regierung zu Marienwerder: Acta das Hospital in Martzdorff betreffend. LDS-Film 008464556, S. 265., 1832 Kalixtus v. Grabski6Brief Grabskis an Friedrich-Wilhelm III., König von Preußen vom 3.04.1832, in: GStA PK, Signatur I. HA, Rep. 89, Nr. 30899, Blatt 67 (Rückseite).. In der Todesnachricht im Deutschen Nekrolog von 1837, die zweifellos von der Familie initiiert war, wird er als Jos. Calixtus Maximil. Grabo v. Grabski7Neuer Nekrolog der Deutschen. [Hrsg.: Bernhard Friedrich Voigt], 13. Jahrgang: 1835, Zweyter Theil, Weimar (Voigt) 1837, S. 1217. bezeichnet. Eine polnische Schreibweise des Namens findet man erst in der Gegenwart; sie hat sich allerdings über das Internet durchgesetzt, wo der Name durchgängig Kalikst Józef Maksymilian z Grabu Grabski 8So bei S. J. Plewako: Kalikst Józef Maksymilian z Grabu Grabski. Internetadresse: http://www.grabski.plewako.pl/. Dieser Webseite wurden auch die genealogischen Angaben entnommen, die jedoch auch an anderer Stelle (z.B. https://www.sejm-wielki.pl/) zu finden sind. Plewako ist ein direkter Nachfahr von Kalixtus von Grabski. geschrieben wird.

Todesanzeige im »Neuen Nekrolog der Deutschen«, Januar 1835

Unbestreitbar ist die Herkunft Grabskis aus der polnischen Szlachta; sowohl die Familie seines Vaters als auch die seiner Mutter gehörten einer der Wappengenossenschaften an, die das Geschick der Rzeczpospolita bestimmt hatten. Grabskis Vater war der königlich-polnische Rittmeister Franciszek Ksawery von Grabski (* 1751; † 1785) aus der Genossenschaft der Wczele, seine Mutter war Eleonora geborene Krzycka (* 1751; † 1795) aus dem Verbund der Kotwicz. Kalixtus von Grabski wurde als zweiter Sohn dieser Ehe 1783 auf Schloss Strelitz in Strzelce bei Chodzież (deutsch: Chodziesen, später Kolmar) geboren und am 4. Juni 1783 in der Pfarrkirche in Chodzież getauft. Sein Bruder Onuphrius Antonius von Grabski kam am 24. Februar 1782 zur Welt, war also nur 16 Monate älter. Die Namensgebung für beide Söhne deutet auf eine gewisse Frömmigkeit hin, mag aber im Fall des älteren Bruders vielleicht auch als Hinweis auf ein polnisches Nationalbewusstsein gedeutet werden. Der heilige Onuphrius, der im vierten Jahrhundert in Ägypten lebte, wird bis heute in der Fronleichnamskirche in Posen/Poznań verehrt, die wiederum dem Andenken an den polnischen Sieg über den deutschen Orden in der Schlacht von Tannenberg/Grunwald im Jahr 1410 gewidmet ist9Die Fronleichnamkirche in Poznań (Posen). In: Region Wielkopolska, Internetadresse: https://regionwielkopolska.pl/de/katalog-obiektow/kosciol-pw-bozego-ciala-w-poznaniu/. Der Vorname Kalixst ist hingegen in Polen bis heute verbreitet und leitet sich von drei Päpsten des Namens her.

Stammwappen der Häuser Wczele und Kotwicz

Der Geburtsort der beiden Brüder lag in Preußen, denn Chodziesen gehörte zum Croner Kreis im Netzedistrikt, den Friedrich II. bei der ersten Teilung Polens seinem Königreich angeschlossen hatte. Anton von Krzycki, der Großvater mütterlicherseits und Besitzer der Herrschaft Marzdorf, hatte kurz vor seinem Tod im September 1772 dem preußischen König gehuldigt und den Untertaneneid abgelegt10E. Żerniecki-Szeliga: Geschichte des Polnischen Adels. Hamburg 1905, S. (A) 44..

Eleonora von Krzycka war dreimal verheiratet. Aus der ersten Ehe mit Adam Józef Grudziński (* 1732; † 1779) gelangte sie in den Mitbesitz von Schloss Strelitz, das aber schon 1789 an Christoph von Zacha verkauft wurde. Nach dem Tod von Franciszek Ksawery von Grabski heiratete sie am 19. Oktober 1786 in Mądre (deutsch: Klugen) bei Zaniemyśl (deutsch: Santomischel) Antoni Wyganowski (* 1754). Aus der Pfarrchronik von Marzdorf ist bekannt, dass Wyganowskis Schwester, Kunegunda Świderska, das Gut in Marzdorf zwischen 1794 und 1808 gepachtet hatte11E. J. Krefft: Aus der Pfarrchronik von Marzdorf. In: Das Archiv, Nr. 6, August 2020. S. 8.. Über die Mutter waren Onuphrius und Kalixtus von Grabski direkte Nachfahren der Familie von Wedel (Wedel-Tuczyński), die seit dem frühen 14. Jahrhundert in Tütz nachweisbar ist.

Im Mai 1803 immatrikulierten sich Onuphrius und Kalixtus von Grabski an der Universität von Halle12Immatrikulation der Brüder v. Grabski …, a. a. O., der damals wohl bedeutendsten preußischen Hochschule. Im Matrikelbuch benannten beide Brüder, die damals 21 und 19 Jahre zählten, »Neustadt« als Herkunftsort und »Maximilian von Grabski in Neustadt/Jabkowo« als ihren Vormund. Gemeint ist damit Neustadt an der Warthe (heute: Nowe Miasto nad Wartą), das etwa zwanzig Kilometer von Mądre entfernt liegt. Das Dorf Jabkowo heißt auf polnisch Jabłkowo und liegt in der Nähe von Gnesen; es gehörte – wie alle aufgeführten Orte – seit der zweiten Teilung Polens im Jahr 1793 zur preußischen Provinz Südpreußen. Maximilian von Grabski (* ca. 1750) war ein Bruder des Vaters und seit 1790 mit Małgorzata Dorpowska verheiratete, deren Familie Jabłkowo gehörte. Als Beruf des Vormunds gaben die beiden Brüder »Kammerherr« an.

Das Matrikelbuch enthält weiter die Angabe, dass Onuphrius und Kalixtus von Grabski in Halle »blos Cameralia zu Ihrem Vergnügen«13Ebenda. studierten und ihr Studium »kommersfrei« gestellt war – sie also nicht an den offiziellen Terminen der Universität teilnehmen mussten. Diese Art von Studium diente ganz offensichtlich nicht einem späteren Broterwerb, sondern der Vorbereitung auf die traditionelle Rolle des Gutsherrn auf ererbtem Besitz.

Es ist unbekannt, wie lange sich Onuphrius und Kalixtus von Grabski in Halle aufhielten. Im Oktober 1806 wurde die Stadt allerdings von den Truppen Napoleons besetzt und der Lehrbetrieb der Universität stark eingeschränkt. Das Hauptgebäude diente als Lazarett. Anfang November brach in der Provinz Südpreußen ein Aufstand gegen den preußischen Staat aus, der sich seit den verlorenen Schlachten von Jena und Auerstedt in einer tiefen Krise befand. Sowohl Neustadt an der Warthe als auch Jabkowo gehörten zum Aufstandsgebiet und – nach dem Erfolg der Erhebung – ab Juli 1807 zum polnischen Staat des »Herzogtums Warschau«, den Napoleon von Dresden aus gegründet hatte. Jan Stanisław Plewako, der auf Notizen seines Vaters Stefan Grabski – eines Enkels von Kalixtus – zurückgreifen konnte, berichtet auf seiner Webseite, Kalixtus von Grabski habe »in der polnischen Armee gedient, in der er 1808 den Rang eines Leutnant erreichte«. Er erwähnt außerdem eine spätere Gefangenschaft in der preußischen Festung Graudenz14Plewako a. a. O..

In der Pfarrchronik von Marzdorf heißt es, dass die Marzdorfer Herrschaft nach dem Tod von Antoni Wyganowski an Onuphrius und Kalixtus von Grabski fiel15Krefft, Pfarrchronik, a. a. O., S. 8.. Diese Darstellung ist nicht stimmig, denn Wyganowski lebte einer Notariatsurkunde zufolge bis mindestens 181116E. H. Nejman: Wypisy z aktów notariuszy szadkowskich 1809-1873 [Auszüge aus den Urkunden der Notare von Szadków]. Zduńska Wola 2014, S. 18.. Im Staatsarchiv von Koszalin wird aber eine Katasterkarte des »zum hochadelichen Gute Marzdorff gehörigen« Dorfes Brunk verwahrt, die 1827 nach Vermessungsunterlagen aus dem Jahr 1805 gezeichnet wurde. Die Vermessung des Dorfes, das »Sr. Hochwohlgeboren dem Herrn v. Grabski zugehörig« war, geschah damals auf »Verlangen Sr. Hochwohlgeboren des Herrn v. Wiganowski«17Karte von dem zum hochadelichen Gute Marzdorff gehörigen Dorfe Brunk Sr. Hochwohlgeboren dem Herrn v. Grabski zugehörig, auf Verlangen Sr. Hochwohlgeboren des Herrn v. Wiganowski vermessen im Jahr 1805. Fundort der Quelle: Archiwum Państwowe w Koszalinie, Signatur 26/55/0/-/7784.. Offenbar war den beiden Brüder ihr Erbe, das 1805 auf 80 000 Taler18Krefft, Pfarrchronik, a. a. O., S. 8. geschätzt wurde, bereits zu Lebzeiten von Antoni Wyganowski zugefallen. Onuphrius und Kalixtus von Grabski beschlossen den Besitz zu teilen; Onuphrius erhielt Stibbe, das er aber schon 1817 an Joseph Gottlieb Körner veräußerte19Onuphrius von Grabski hatte bereits 1806 Anna Brzeska geheiratet, im Jahr 1810 heiratete er in zweiter Ehe Otolia Gorzeńska (* 1790; † 1862). Im Herbst 1821 gehörte er zu den Mitbegründern der Posener Landschaft (siehe: Landschaftliche Kredit-Ordnung für das Großherzogtum Posen. Vom 15ten Dezember 1821. In: Gesetzessammlung für die Königlichen preußischen Staaten, Nr. 20, 1821, Berlin o. J., S. 218-263.) Er starb am 20. Oktober 1827 in Lgów (deutsch: Lugfeld) bei Jarotschin., Kalixtus übernahm Marzdorf mit Brunk, Lubsdorf und den beiden Vorwerken Böthin und Dreetz. Ab 1807 war er Patron der örtlichen Pfarrkirche, ab 1808 wird er auch in den Schultabellen als Patron genannt20Königl. Preußische Regierung Marienwerder: Acta die Schul Tabellen aus der Posenschen Diöcese betreffend [1808], in: LDS-Film 008106931., die Kirchenrechnungen unterzeichnete er jedoch erst ab dem Jahr 181221Krefft, Pfarrchronik, a. a. O., S. 8..

Grabski selbst erklärte 1832, er habe »den Besitz der Marzdorfer vor 27 Jahren«22Brief Grabskis an Friedrich Wilhelm III. vom 3. April 1832. In: Königliches Civil-Kabinet: Reclamationen des Gutsbesitzers von Grabski, GStA PK, 1. HA, Rep. 89, Nr. 30899, Blatt 64. aus der väterlichen Erbschaft angetreten – mithin im Jahr 1807. Damals waren die Güter »ganz unverschuldet«, aber die »drückenden Lasten des Krieges«, die ihn, »an der großen Militairstraße nach Rußland wohnend«23Ebenda., vor vielen anderen Landesleuten betroffen hätten, nötigten ihn bald, die landschaftliche Schuld so weit zu vergrößern, wie es die Verfassung des ritterschaftlichen Kreditinstituts der Westpreußischen Landschaft erlaubte.

Grabskis Engagement für das Herzogtum Warschau wird durch Ludwik Bąk bestätigt, der in den 1970er Jahren im Pfarrarchiv von Marzdorf ein Conceptbuch des Offzials Dalski einsehen konnte, das heute verschollen ist. In diesem Buch fand Bąk das Konzept zu einem Brief Dalskis vom 6. Juni 1807, in dem der Offizial an einen Major Reinhold in Bromberg berichtete, der »Erbe von Marzdorf, Feliks Grabski« habe 14 Rekruten »für die Wiedergeburt des Vaterlandes«24Bąk, Ziemia Wałecka, a. a. O., S. 18 (Fußnote). entsendet, von denen allerdings sechs wieder entflohen. Ob Grabski – dessen Vorname Bąk falsch las – sich selbst ebenfalls zur Armee meldete, geht aus der Darstellung nicht hervor. Da Grabski aber zwischen 1808 und 1812 in den Quellen nicht erwähnt wird, ist Plewakos Schilderung durchaus möglich, zumal sein jugendliches Alter patriotische Schwärmerei sicher begünstigte.

Im Jahr 1814 heiratete Kalixtus von Grabski mutmaßlich in Tütz Emilie Friederike Wilhelmine (genannt Ernestine) von Hartmann, eine Tochter des preußischen Obrist-Lieutenants Johann Friedrich Ludwig von Hartmann und seiner Ehefrau, einer geborenen Fürstin von Lichnowska, die wohl aus mährisch-schlesischem Adel stammte. Die Familie war seit 180225Von 1802 bis 1810 stritt sich Frau von Hartmann aus Tütz mit dem Agenten Gottschalk Helfft in Berlin um einen Betrag von 20 000 Taler. (M. Kohnke: Quellen zur Geschichte der Juden in den Archiven der neuen Bundesländer, Band 2, Teil 1, München, 1999, S. 301) und bis mindestens 182926Im Januar 1829 wurde auf Schloss Tütz der Nachlass des Obrist-Lieutnants v. Hartmann, der freilich schon vor 1814 verstorben war, versteigert. (Öffentlicher Anzeiger zum Amtsblatt Marienwerder, 23. Januar 1829, S. 25-26.) Im Deutsch Kroner und Schneidemühler Heimatbrief vom August 1979 heißt es ohne weitere Quellenangabe, die Fürstin Lichnowska geb. Hartmann sei von 1801 bis 1833 im Besitz der Herrschaft Tütz gewesen. (P. Böthin: Geschichtszahlen Neumark-Bitom-Tütz. Deutsch Kroner und Schneidemühler Heimatbrief, August 1979, S. 14.) im Besitz der Herrschaft Tütz.  Nach Plewako war Ernestine von Hartmann »berühmt für ihre Schönheit«, aber weder von ihr noch von Kalixtus von Grabski sind Porträts überliefert, die eine Überprüfung der Aussage erlaubten. Wenig glaubwürdig ist Plewakos Behauptung, bei Ernestine von Hartmann habe es sich um »eine Dame des preußischen Hofes« gehandelt27Plewako a. a. O.. Die Familie, die erst 1803 nobilitiert28L. Freiherr von Ledebour: Adelslexicon der Preußischen Monarchie. Erster Band, A-K, Berlin [1855], S. 322. wurde, findet in den Hof- und Staatskalendern der Zeit keine Erwähnung.

Auf den ersten Blick passt die Heirat mit Ernestine von Hartmann nicht zum Bild Grabskis als eines polnischen Patrioten. Der Vater der Braut war nicht nur preußischer Offizier, sondern auch Protestant und die ganze Familie zeigte eine enge Bindung an den preußischen Staat. Als im Oktober 1806 der Einmarsch von preußischen Freischärlern in Tütz einen Aufruhr auslöste (auf dessen Details hier nicht näher eingegangen werden kann), stellte sich von Hartmann den Aufrührern entgegen und wurde von ihnen »unanständig« gefesselt und für mehrere Tage seiner Freiheit beraubt29H. Seidel, D. Schmidt: Das Reformministerium Stein. Band 3, Berlin 1968, S. 1083.. Im Februar des Hochzeitsjahres 1814 stiftete die verwitwete »Frau Oberstlieutenant von Hartmann, geb. von Lichnowska auf Tütz« zur »Bekleidung bedürftiger [preußischer] Vaterlandsvertheidiger« 22 Paar Socken30Vaterlandsliebe und Wohthätigkeit. Berlinische Nachrichten [Beilage], 31. Mai 1814, S. [1].

Aus der Pfarrchronik von Marzdorf ist bekannt, dass Kalixtus von Grabski die Konfession seiner Ehefrau zumindest akzeptierte und seine Kinder »im Protestantismus erziehen«31Krefft, Pfarrchronik, a. a. O., S. 9. ließ. Vieles deutet darauf hin, dass er sich nach den Erfahrungen der Kriegsjahre 1808 bis 1813 auch mit dem preußischen Staat arrangiert hatte, der nach dem Sturz Napoleons erneut zur europäischen Großmacht geworden war. So gehörte Grabski am 27. Juli 1815 zu den Mitunterzeichnern einer Petition der Rittergutsbesitzer, Städtevertreter und Rustikalstellenbesitzer des Deutsch Kroner Kreises, die vom preußischen König ein Verbleib des Kreises in der Provinz Westpreußen erbaten32Manfred Laubert: Studien zur Geschichte der Provinz Posen, 2. Band, Posen 1927, S. 31f. – Weitere Unterzeichner waren Landrat v. Germar und die Rittergutsbesitzer v. Arnim, v. Falkenhayn, v. Belville, v. Blankenburg, Kegel, und Krause, die in der Petition betonten, sie seien nach »Herzen und Gesinnung preußisch und deutsch«..

Bei der Heirat zählte Grabski 29 Jahre und war der erste Grundherr seit langer Zeit, der auf dem Marzdorfer Besitz auch seinen Wohnsitz nahm33Nach der Pfarrchronik hatte vor ihm nur seine Großmutter, Franciszka Krzycka, ab 1766 einige Jahre im Dorf gelebt. Ebenda., S. 8.. Hier zeigte er bald eine tatkräftige Wirksamkeit: Im Jahre 1817 zahlte er 2 856 Taler Pfandbriefschulden zurück, die noch vom Krieg her auf dem Gut lasteten.34Acta betr. das auf dem Grabskyschen Gute Marxdorff eingetragene Kapital. In: GStA PK, Signatur I. HA, Rep. 151, Nr. 2476. Im Jahr 1818 stiftete er zwei neue Dorfschulen in Lubsdorf und Brunk, wo bislang keine bestanden hatten, 1819 ließ er die Schule in Marzdorf renovieren und erweitern 35T. Soorholtz: Aus der Schulgeschichte von Marzdorf und Königsgnade. Das Archiv, Heft 2, Juni 2008, S. 1., 1825 veranlasste er die Instandsetzung und Erweiterung der Lubsdorfer Filialkirche Sankt Michael, die 1829 vom Offizial Antonius Perzyński neu konsekriert wurde36J. Korytkowski: Brevis descriptio etc., Gnesen 1888, S. 243..

[→ wird fortgesetzt]

Friedrich August von Sachsen war zugleich Herzog von Warschau. Hier ein Golddukat von 1812.

Anmerkungen:

  • 1
    K. Hunger: Geschichte des Dorfs Brunk. Semesterarbeit, Beuthen 1936, S. 45.
  • 2
    L. Bąk: Ziemia Wałecka w dobie reformacji i kontrreformacji w XVI–XVIII w. [Reformation und Gegenreformation im Deutsch Kroner Land vom 16. bis 18. Jahrhundert]. Piła 1999, S. 18.
  • 3
    Immatrikulation der Brüder v. Grabski am 14.05.1803. In: Universitätsarchiv der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Matrikelbücher 1791-1806, Signatur UAHW, Rep. 46, Nr. 7.
  • 4
    Dienstbrief für den Schullehrer Johann Neumann vom 17.07.1822, in: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK) in Berlin, Signatur HA XIV, Rep. 181, Nr. 8839, Seite 142.
  • 5
    Königl. Preußische Regierung zu Marienwerder: Acta das Hospital in Martzdorff betreffend. LDS-Film 008464556, S. 265.
  • 6
    Brief Grabskis an Friedrich-Wilhelm III., König von Preußen vom 3.04.1832, in: GStA PK, Signatur I. HA, Rep. 89, Nr. 30899, Blatt 67 (Rückseite).
  • 7
    Neuer Nekrolog der Deutschen. [Hrsg.: Bernhard Friedrich Voigt], 13. Jahrgang: 1835, Zweyter Theil, Weimar (Voigt) 1837, S. 1217.
  • 8
    So bei S. J. Plewako: Kalikst Józef Maksymilian z Grabu Grabski. Internetadresse: http://www.grabski.plewako.pl/. Dieser Webseite wurden auch die genealogischen Angaben entnommen, die jedoch auch an anderer Stelle (z.B. https://www.sejm-wielki.pl/) zu finden sind. Plewako ist ein direkter Nachfahr von Kalixtus von Grabski.
  • 9
    Die Fronleichnamkirche in Poznań (Posen). In: Region Wielkopolska, Internetadresse: https://regionwielkopolska.pl/de/katalog-obiektow/kosciol-pw-bozego-ciala-w-poznaniu/
  • 10
    E. Żerniecki-Szeliga: Geschichte des Polnischen Adels. Hamburg 1905, S. (A) 44.
  • 11
    E. J. Krefft: Aus der Pfarrchronik von Marzdorf. In: Das Archiv, Nr. 6, August 2020. S. 8.
  • 12
    Immatrikulation der Brüder v. Grabski …, a. a. O.
  • 13
    Ebenda.
  • 14
    Plewako a. a. O.
  • 15
    Krefft, Pfarrchronik, a. a. O., S. 8.
  • 16
    E. H. Nejman: Wypisy z aktów notariuszy szadkowskich 1809-1873 [Auszüge aus den Urkunden der Notare von Szadków]. Zduńska Wola 2014, S. 18.
  • 17
    Karte von dem zum hochadelichen Gute Marzdorff gehörigen Dorfe Brunk Sr. Hochwohlgeboren dem Herrn v. Grabski zugehörig, auf Verlangen Sr. Hochwohlgeboren des Herrn v. Wiganowski vermessen im Jahr 1805. Fundort der Quelle: Archiwum Państwowe w Koszalinie, Signatur 26/55/0/-/7784.
  • 18
    Krefft, Pfarrchronik, a. a. O., S. 8.
  • 19
    Onuphrius von Grabski hatte bereits 1806 Anna Brzeska geheiratet, im Jahr 1810 heiratete er in zweiter Ehe Otolia Gorzeńska (* 1790; † 1862). Im Herbst 1821 gehörte er zu den Mitbegründern der Posener Landschaft (siehe: Landschaftliche Kredit-Ordnung für das Großherzogtum Posen. Vom 15ten Dezember 1821. In: Gesetzessammlung für die Königlichen preußischen Staaten, Nr. 20, 1821, Berlin o. J., S. 218-263.) Er starb am 20. Oktober 1827 in Lgów (deutsch: Lugfeld) bei Jarotschin.
  • 20
    Königl. Preußische Regierung Marienwerder: Acta die Schul Tabellen aus der Posenschen Diöcese betreffend [1808], in: LDS-Film 008106931.
  • 21
    Krefft, Pfarrchronik, a. a. O., S. 8.
  • 22
    Brief Grabskis an Friedrich Wilhelm III. vom 3. April 1832. In: Königliches Civil-Kabinet: Reclamationen des Gutsbesitzers von Grabski, GStA PK, 1. HA, Rep. 89, Nr. 30899, Blatt 64.
  • 23
    Ebenda.
  • 24
    Bąk, Ziemia Wałecka, a. a. O., S. 18 (Fußnote).
  • 25
    Von 1802 bis 1810 stritt sich Frau von Hartmann aus Tütz mit dem Agenten Gottschalk Helfft in Berlin um einen Betrag von 20 000 Taler. (M. Kohnke: Quellen zur Geschichte der Juden in den Archiven der neuen Bundesländer, Band 2, Teil 1, München, 1999, S. 301)
  • 26
    Im Januar 1829 wurde auf Schloss Tütz der Nachlass des Obrist-Lieutnants v. Hartmann, der freilich schon vor 1814 verstorben war, versteigert. (Öffentlicher Anzeiger zum Amtsblatt Marienwerder, 23. Januar 1829, S. 25-26.) Im Deutsch Kroner und Schneidemühler Heimatbrief vom August 1979 heißt es ohne weitere Quellenangabe, die Fürstin Lichnowska geb. Hartmann sei von 1801 bis 1833 im Besitz der Herrschaft Tütz gewesen. (P. Böthin: Geschichtszahlen Neumark-Bitom-Tütz. Deutsch Kroner und Schneidemühler Heimatbrief, August 1979, S. 14.)
  • 27
    Plewako a. a. O.
  • 28
    L. Freiherr von Ledebour: Adelslexicon der Preußischen Monarchie. Erster Band, A-K, Berlin [1855], S. 322.
  • 29
    H. Seidel, D. Schmidt: Das Reformministerium Stein. Band 3, Berlin 1968, S. 1083.
  • 30
    Vaterlandsliebe und Wohthätigkeit. Berlinische Nachrichten [Beilage], 31. Mai 1814, S. [1]
  • 31
    Krefft, Pfarrchronik, a. a. O., S. 9.
  • 32
    Manfred Laubert: Studien zur Geschichte der Provinz Posen, 2. Band, Posen 1927, S. 31f. – Weitere Unterzeichner waren Landrat v. Germar und die Rittergutsbesitzer v. Arnim, v. Falkenhayn, v. Belville, v. Blankenburg, Kegel, und Krause, die in der Petition betonten, sie seien nach »Herzen und Gesinnung preußisch und deutsch«.
  • 33
    Nach der Pfarrchronik hatte vor ihm nur seine Großmutter, Franciszka Krzycka, ab 1766 einige Jahre im Dorf gelebt. Ebenda., S. 8.
  • 34
    Acta betr. das auf dem Grabskyschen Gute Marxdorff eingetragene Kapital. In: GStA PK, Signatur I. HA, Rep. 151, Nr. 2476.
  • 35
    T. Soorholtz: Aus der Schulgeschichte von Marzdorf und Königsgnade. Das Archiv, Heft 2, Juni 2008, S. 1.
  • 36
    J. Korytkowski: Brevis descriptio etc., Gnesen 1888, S. 243.

St. Katharina und Marzdorf

Die Marzdorfer Pfarrkirche St. Katharina gehört zu den ältesten im Deutsch Kroner Land. Die heutige Kirche erbaute der Tützer Grundherr Christoph von Wedell im Jahre 1627; der Posener Bischof Adalbert Tholibowski konsekrierte sie 16601Geschichte der katholischen Kirchengemeinde Marzdorf auf der Webseite der Arbeitsgemeinschaft Ostdeutscher Familienforscher (AgOFf).. Mehrere Anbauten sind bekannt, so wurde die Kirche im Jahr 1910 durch eine Küsterei erweitert2Patronatslasten Marzdorf, Aufstellung in Acta der Königlich Preuss. Regierung in Marienwerder betreffend die Bauten bei der Schule in Königsgnade, Kreis Dt. Krone – 1887-1936, Archiwum Państwowe w Poznaniu Oddział w Pile, Signatur: 55/907/0/2.1.2.3/4585, unpaginiert..

Die heutige Kirche hatte gewiss mehrere Vorgängerbauten, denn bereits im Neumärkischen Landbuch von 1337 wird von einer »sehr alten Kirche« im damaligen Martinsdorp gesprochen und dem Ortspfarrer waren vier der 64 Hufen des Ortes zugeteilt3Georg Wilhelm von Raumer: Die Neumark Brandenburg im Jahre 1337, Berlin 1837, S. 105.. Ob auch die früheren Kirchenbauten der Heiligen Katharina geweiht waren, ist ungewiss, aber nach den Erkenntnissen der Kulturwissenschaftlerin Dagmar Jestrzemski sehr wahrscheinlich. Jastrzemski hat erforscht, dass das Stormaner Rittergeschlecht der von Wedel bereits in der Mitte des 13. Jahrhunderts die Heilige Katharina aus Alexandrien zur Familienpatronin erwählte. Das sogenannte Katharinenrad – eigentlich ein Richtrad – findet sich seit dieser Zeit in Wappen und Siegel der Familie4Dagmar Jestrzemski: Katharina von Alexandrien. Die Kreuzritter und ihre Heilige, Berlin (Lukas) 2010..

Siegel des Hinricus de Wedele um 1322 (Bildquelle: Wikipedia)

Als die Familie von Wedel 1268 Ländereien jenseits der Oder im Grenzgebiet zwischen Pommern, Brandenburg und Polen erwarb, führte sie die Heilige Katharina mit. Schon im Jahr 1296 wird in Reetz eine spätgotische Katharinenkirche erwähnt, im Jahr 1350 errichtete Hasso der Rote von Wedel in Dramburg eine Kapelle mit Katharinenaltar5Ebenda, S. 54.. Auch das Wappen der Stadt Tütz, die 1333 ein Privileg der Brüder Stanislaus und Christoph von Wedel erhielt, zeigte bis 1945 eine blaugewandete Katharinenfigur mit zwei roten Rädern. Im heutigen Wappen der Stadt Tuczno sind beide Richträder erhalten geblieben, die heilige Katharina musste jedoch einem stilisierten Ritterhelm weichen.

Wappen von Tütz vor und nach 1945. (Bildquelle: Wikipedia)

Aus den Kirchenbüchern von Marzdorf sind drei Siegel bekannt, die ein Bildnis der heiligen Katharina zeigen. Das erste Siegel in lateinischer Sprache findet sich bis 1863 als Stempel im Kirchenbuch-Duplikat. Es hat die Umschrift »SIGILUM ECCLESIÆ MARCIN∙COVIENSIS ✶ SUB TIT. S: CATHARINÆ« und zeigt eine Katharinenfigur mit Richtrad und Palmzweig.

Siegel des Marzdorfer Pfarrers Katzer aus dem Jahr 1863.

Das zweite Siegel in deutscher Sprache wurde ab 1864 verwendet. Es zeigt das Bild der heiligen Katharina umgeben vom Schriftzug: »SIEGEL DER MUTTER-KIRCHE ZU MARZDORF UNTER D. TITEL S. CATHARINÆ« und das Jahresdatum »1839«. Es ist ungewiss, was diese Jahreszahl zu besagen hatte. Vermutlich sollte sie an den ersten »Kirchenkampf« in Preußen erinnern, denn im Februar 1839 wurde der Posener Erzbischof Martin von Dunin seines Amtes suspendiert und zu einer Haftstrafe verurteilt. Die stilisierte Katharinenfigur auf dem Siegel wird bekrönt mit Richtrad und Zweig dargestellt.

Siegel des Marzdorfer Pfarrers Steinke im Jahr 1865.

Das dritte Siegel benutzte Pfarrer Rehbronn im Jahr 1933 als Stempel. Es zeigt ebenfalls eine bekrönte Katharinenfigur mit Richtrad und Palmzweig mit der Umschrift »SIEGEL DER MUTTERKIRCHE ZU MARZDORF UNTER D. TITEL S. CATHARINÆ«. Die Jahreszahl 1839 fehlt jedoch.

Die Heilige Katharina von Alexandrien gehört zu den bekanntesten Heiligen der christlichen Kirche. Nach der Heiligenlegende, die im 7. Jahrhundert entstand, war Katharina eine Königstochter, die um 300 in Alexandria lebte und von einem Einsiedler zum Christentum bekehrt wurde. Weil Katharina große Überzeugungskraft besaß, soll sie vom römischen Kaiser Maxentius (oder Maximinus oder Maximianus) zum Tod durch das Rädern verurteilt worden sein. Durch ein Gebet der Heiligen zerbrachen jedoch die Richträder während der Hinrichtung. Katharina soll daraufhin enthauptet worden sein.6Siehe zur Heiligenlegende auch https://bistum-augsburg.de/Heilige-des-Tages/Heilige/KATHARINA-VON-ALEXANDRIEN.

Nach dem heutigen Forschungsstand ist die Heilige Katharina höchst wahrscheinlich eine erfundene Figur, die auf einer klassischen Täter-Opfer-Verkehrung beruht. Vorbild für die Heiligenlegende war offenbar die griechische Mathematikerin Hypathia von Alexandria (ca. 355–415/416), die am Museion ihrer Vaterstadt auch Astronomie und Philosophie unterrichtete. Hypathia wurde von Angehörigen einer militanten christlichen Laienbruderschaft ermordet, ihre Leiche dann zerstückelt und verbrannt.7Jestrzemski, a. a. O., S. 89.

Da es keine Belege für die tatsächliche Existenz der Heiligen Katharina gibt, wurde ihr Gedenktag 1969 aus dem katholischen Calendarium Romanum Generale gestrichen, aber 2002 wieder aufgenommen. Der Gedenktag ist der 25. November.

Anmerkungen:

  • 1
    Geschichte der katholischen Kirchengemeinde Marzdorf auf der Webseite der Arbeitsgemeinschaft Ostdeutscher Familienforscher (AgOFf).
  • 2
    Patronatslasten Marzdorf, Aufstellung in Acta der Königlich Preuss. Regierung in Marienwerder betreffend die Bauten bei der Schule in Königsgnade, Kreis Dt. Krone – 1887-1936, Archiwum Państwowe w Poznaniu Oddział w Pile, Signatur: 55/907/0/2.1.2.3/4585, unpaginiert.
  • 3
    Georg Wilhelm von Raumer: Die Neumark Brandenburg im Jahre 1337, Berlin 1837, S. 105.
  • 4
    Dagmar Jestrzemski: Katharina von Alexandrien. Die Kreuzritter und ihre Heilige, Berlin (Lukas) 2010.
  • 5
    Ebenda, S. 54.
  • 6
  • 7
    Jestrzemski, a. a. O., S. 89.

Die Schulzen

Dienstsiegel des Schulzenamts Königsgnade

An der Spitze der Landgemeinden im Deutsch Kroner Land stand traditionell ein Schulze, der als Mittelsmann zwischen Dorfbevölkerung und Gutsherrschaft fungierte. In der polnischen Zeit wurden die Pflichten und Rechte der Schulzen in individuell formulierten Privilegien festgelegt, die auf Lebenszeit galten und an Nachkommen vererbt werden konnten. Es sind aus jener Zeit zwei Schulzenprivilegien1Beide Privilegien befinden sich in den Klassifikationsanschlägen des Amtes Märkisch Friedland, die im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz unter der Signatur II. HA GD, Abt. 9, Polizeiverwaltung Tit. 85, Nr. 7 verwahrt werden und nun auch online zugänglich sind. überliefert: Das für Christoph Boczanski auf dem Lubsdorfer Schulzengut Lubshof aus dem Jahr 17232Privileg in deutscher Sprache ausgestellt von Marianna von Tuczynska Radonska, a. a. O., Blatt 193 ff. und das für den Brunker Schulzen Jakob Polcyn aus dem Jahr 17663Privileg in polnischer Sprache ausgestellt von Antoni z. Krzycka Krzycki, a. a. O., Blatt 18 ff.. Beide Privilegien beinhalten lokale Ordnungsfunktionen und verpflichten die Schulzen zur bewaffneten Grenzverteidigung, unterscheiden sich sonst aber deutlich. Während der Brunker Schulze Polcyn die Bewirtschaftung des herrschaftlichen Guts und die Ablieferung von Steuern und Abgaben zu überwachen hatte, konnte Boczanski mehr oder minder frei wirtschaften, denn für Verwaltungsaufgaben war im Dorf ein zusätzlicher Lehnschulze eingesetzt.

Jacob Poltzin wird auch im preußischen Kontributionskataster des Jahres 1773 noch als »Frey Schultz« in Brunk mit einer Hufe und sechs Morgen Land aufgeführt4A. a. O., Blatt 17.. In Lubsdorf gab es zu jener Zeit jedoch keinen Schulzen mehr, denn das frühere Schulzengut war aufgeteilt in den Besitz des »Arendators« Casimir Schulz und vier Kossätenhöfe5A. a. O., Blatt 190.. In Marzdorf wird der Zinsbauer Paul Koltermann als Schulze benannt6A. a. O., Blatt 245., dessen Witwe 1825 in Königsgnade verstarb.

Ab dem Jahr 1794 diente in Preußen das Allgemeine Landrecht, das den Schulzen zum »Vorsteher der Gemeinde« bestimmte, als zusätzliche Regelungsgrundlage7Das Allgemeine Landrecht ist online über opinioiuris.de verfügbar. Die Stellung des Schulzen wird behandelt in Teil II, Titel VII, §§ 46 ff.. War der Schulze bislang nur der Gutsherrschaft verpflichtet gewesen, machte ihn der Staat nun auch zum Mittler zwischen Staat und Dorfgemeinde, denn das Landrecht wies ihm die Aufgabe zu, der Gemeinde die »landesherrlichen und obrigkeitlichen Verfügungen bekannt machen« und für deren Befolgung zu sorgen. Der Schulze war jetzt für die Einhaltung der Polizeiordnung und die Beaufsichtigung von öffentlichen Arbeiten verantwortlich; er sollte Viehseuchen melden, verdächtige Personen den Behörden ausliefern und die staatlichen Steuern eintreiben. Gemeinsam mit zwei Schöffen stand der Schulze dem Dorfgericht vor und war für die Verwaltung des Vermögens der Gemeinde zuständig.

Die geltenden Privilegien blieben auch nach dem Jahr 1794 bestehen, denn das Landrecht erkannte die Verbindung von Schulzengut und -amt grundsätzlich an. War im Dorf kein erbliches Schulzengut vorhanden, hatte der Gutsherr das Recht, aus den Einwohnern der Gemeinde einen Schulzen zu ernennen. Der ernannte Schulze musste »des Lesens und Schreibens notdürftig kundig« und zudem »von untadelhaften Sitten« sein.

Da mehrere Ansätze zur Einführung einer Landgemeindeordnung scheiterten, blieben die Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts, die das Schulzenamt betrafen, in Preußen bis 1873 gültig. Erst die Kreisordnung vom 13. Dezember 1872 löste das Amt des Dorfschulzen aus der Abhängigkeit von der Gutsherrschaft und schaffte das erbliche Freischulzenamt ab. Erstmalig war es den Dorfgemeinden nun erlaubt, ihre Vorsteher selbst zu wählen. Bis zum Erlass der Landgemeindeordnung im Jahr 1891 gab es freilich keine eindeutige Wahlordnung für diese Abstimmungen und bis zum Ende des preußischen Staats war der gewählte Schulze auf die Bestätigung durch den Landrat angewiesen.

Das spannungsgeladene Verhältnis zwischen preußischen Landrat und Dorfschulzen hat die Historikerin Anette Schlimm im Jahr 20178Anette Schlimm: Vom unwilligen, unfähigen Schulzen zum kompetenten Bürgermeister? in: Administory, Zeitschrift für Verwaltungsgeschichte, Bd. 2, 2017, S. 207 bis 229. https://doi.org/10.2478/ADHI-2018-0022. untersucht. Sie kam zu dem Ergebnis, dass die Dorfschulzen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in die Abhängigkeit der Landräte gerieten, die zunehmend »die Hoheit über der ländlichen Raum«9Ebenda, S. 220. eroberten. Von den Landräten wurden die ehrenamtlichen Dorfvorsteher einerseits mit Arbeiten überhäuft und andererseits als Sündenböcke für gescheiterte Verwaltungsmaßnahmen missbraucht. Klagen über unwillige und uneinsichtige Schulzen gehörten zum Standardrepertoire der preußischen Landräte, welche die Dorfvorsteher wie Untergebene behandelten und das Recht hatten, sie bei Unbotmäßigkeit zu strafen.

Die Akten der Schulzenämter in Brunk, Königsgnade, Lubsdorf und Marzdorf wurden nach 1945 vernichtet; die überlieferten Kirchenbücher, Kreiskalender und einzelne Verwaltungsakten erlauben es aber, einige der Personen zu nennen, die zwischen 1772 und 1945 die Funktion des Dorfverstehers ausübten.

Das Freischulzenamt in Brunk wurde von 1784 bis mindestens 1837 von Mathias Storch ausgefüllt, der die Witwe des Freischulzen Jacob Polzin geheiratet hatte. Im Jahr 1848 übernahm Lorenz Jaene den Freischulzenhof in Brunk; nach seinem Tod im Jahr 1871 fiel das Amt an dessen Sohn Paul10Siehe dazu auch Karl Hunger: Geschichte und Volkskunde des Dorfes Brunk im Kreis Deutsch Krone, Köln 2021, S. 42 ff.. Im Jahr 1915 und 1920 hieß der Gemeindevorsteher laut Heimatkalender Tetzlaff, 1936 war es der Bauer Paul Koltermann.

In Königsgnade hieß der erste Schulze Martin Schulz; er amtierte von mindestens 1824 bis mindestens zur Separation 1841 und war zu der Zeit der einzige Eigentümer im Dorf, der seinen Namen schreiben konnte11Das Grundsteuerkastaster von Königsgnade aus dem Jahr 1841 findet sich im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz unter Signatur HA XIV, Rep. 181, Abt. III, Sign. 9729.. Als Gerichtsmann (Schöffe) wird im Schulrezess von 1824 Johann Remer genannt12Die Schulakten von Königsgnade bis 1832 finden sich im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz unter Signatur HA XIV, Rep. 181, Abt. III, Sign. 8839.. In den Kirchenbuch-Duplikaten von Marzdorf13Die Duplikate der Kirchenbücher der katholischen Pfarre Sankt Katharina in Marzdorf, die im Archiwum Państwowe in Koszalin verwahrt werden, liegen inzwischen online auf metryki.genbaza.pl vor.sind die folgenden Schulzen namentlich aufgeführt:

1844Stephan Robeck
1849, 1852 und 1859Johann Garske
1854, 1856, 1857, 1860Jacob Günterberg
1888Josef Robeck
Erwähnung der Königsgnader Schulzen in den Kirchenbuch-Duplikaten von Marzdorf.

Robeck wird auch von 1902 bis 1910 in den Schulakten14Die Schulakten von Königsgnade ab 1855 finden sich im Archiwum Państwowe w Poznaniu Oddział w Pile unter den Signaturen 55/907/0/2.1.2.3/4585 bis 4588., sowie 1915 im Heimatkalender als Dorfschulze benannt. Im folgt 1921 und 1923 ein Schulze Neumann, dessen Vorname unbekannt ist. Von 1924 bis 1930 war Albert Günterberg Gemeindevorsteher in Königsgnade. Er setzte den Bau der neuen Schule im Dorf durch, die freilich erst in der Amtszeit seines Nachfolgers, Max Ziebarth, vollendet wurde. Ziebarth war bis 1945 Gemeindevorsteher in Königsgnade; seit dem Erlass der Deutschen Gemeindeordnung im Jahr 1935 trug er den Titel »Bürgermeister«. Das Schöffenamt übten 1927 Albert Remer und Paul Ziebarth aus, ab 1930 Paul Ziebarth und Gregor Garske.

Für Lubsdorf werden in den Kirchenbuch-Duplikaten die nachfolgenden Freischulzen genannt:

1824Joseph Schulz [† 11.12.1824]
1828, 1830, 1832, 1835 und 1847Andreas Schulz
1853, 1856 und 1857Christian Buske
Erwähnung der Lubsdorfer Schulzen in den Kirchenbuch-Duplikaten von Marzdorf.

Andreas Schulz starb vermutlich 1848 und Christian Buske erwarb das Freischulzenamt durch die Hochzeit mit dessen hinterbliebenen 18-jähriger Tochter Rosalia am 14. September 1849. Im Heimatkalender 1920 wird als Gemeindevorsteher von Lubsdorf ein Herr Manthey (leider ohne Vorname) benannt; im Jahr 1936 hatte das Amt der Bauer Josef Manthey inne, der auch noch 1942 als »Bürgermeister« der Gemeinde im Reichstelefonbuch steht.

In Marzdorf wurde das Schulzenamt schon vor 1811 erblich an die Familie Morowski vergeben. Der erste Freischulze war vermutlich Lorenz Morowski, der am 10. Januar 1857 im Alter von 75 Jahren in Marzdorf verstarb. Das Freischulzenamt erbte sein Sohn Joseph Morowski, der es bis zu seinem Tod am 28. Februar 1870 ausübte. Im Jahr 1901 hieß der Gemeindevorsteher in Marzdorf Rudolf Morowski, der das Amt auch 1915 noch ausübte. Im Jahr 1912 wurde ihm für seine Dienste als Gemeindevorsteher vom Kaiser das Allgemeine Ehrenzeichen verliehen. 1936 wird im Heimatkalender hingegen der Bauer Felix Schulz genannt.

Das am Kopf gezeigte Siegel des Schulzenamtes in Deutsch Krone wurde von mindestens 1856 bis Jahr 1930 von der Gemeinde genutzt. Max Ziebarth ersetzte es dann durch das modernere untenstehende Dienstsiegel.

Siegel des Gemeindevorstehers von Königsgnade
Siegel des Gemeindevorstehers von Königsgnade ab 1930

Anmerkungen:

  • 1
    Beide Privilegien befinden sich in den Klassifikationsanschlägen des Amtes Märkisch Friedland, die im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz unter der Signatur II. HA GD, Abt. 9, Polizeiverwaltung Tit. 85, Nr. 7 verwahrt werden und nun auch online zugänglich sind.
  • 2
    Privileg in deutscher Sprache ausgestellt von Marianna von Tuczynska Radonska, a. a. O., Blatt 193 ff.
  • 3
    Privileg in polnischer Sprache ausgestellt von Antoni z. Krzycka Krzycki, a. a. O., Blatt 18 ff.
  • 4
    A. a. O., Blatt 17.
  • 5
    A. a. O., Blatt 190.
  • 6
    A. a. O., Blatt 245.
  • 7
    Das Allgemeine Landrecht ist online über opinioiuris.de verfügbar. Die Stellung des Schulzen wird behandelt in Teil II, Titel VII, §§ 46 ff.
  • 8
    Anette Schlimm: Vom unwilligen, unfähigen Schulzen zum kompetenten Bürgermeister? in: Administory, Zeitschrift für Verwaltungsgeschichte, Bd. 2, 2017, S. 207 bis 229. https://doi.org/10.2478/ADHI-2018-0022.
  • 9
    Ebenda, S. 220.
  • 10
    Siehe dazu auch Karl Hunger: Geschichte und Volkskunde des Dorfes Brunk im Kreis Deutsch Krone, Köln 2021, S. 42 ff.
  • 11
    Das Grundsteuerkastaster von Königsgnade aus dem Jahr 1841 findet sich im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz unter Signatur HA XIV, Rep. 181, Abt. III, Sign. 9729.
  • 12
    Die Schulakten von Königsgnade bis 1832 finden sich im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz unter Signatur HA XIV, Rep. 181, Abt. III, Sign. 8839.
  • 13
    Die Duplikate der Kirchenbücher der katholischen Pfarre Sankt Katharina in Marzdorf, die im Archiwum Państwowe in Koszalin verwahrt werden, liegen inzwischen online auf metryki.genbaza.pl vor.
  • 14
    Die Schulakten von Königsgnade ab 1855 finden sich im Archiwum Państwowe w Poznaniu Oddział w Pile unter den Signaturen 55/907/0/2.1.2.3/4585 bis 4588.

Czesław Piskorski und Marzdorf

Jantarowe Szlaki

Im Januar 1980 veröffentlichte Czesław Piskorski in der Zeitschrift Jantarowe Szlaki1Czesław Piskorski: Marcinkowice – jedna z siedzib rodu Wedlów-Tuczyńskich (Marzdorf – einer der Sitze der Familie Wedel-Tuczyński). In: Jantarowe Szlaki, Kwartalnik Turystiyczno-Krajonznawczy, Województw Północnych, Rok XXIII, Nr. 1 (175), Styczeń-Marzec 1980, S. 33 bis 37. eine umfangreiche Reportage über das Dorf »Marcinkowice in der Woiwodschaft Piła« – es handelt sich dabei um Marzdorf, dessen früherer Name freilich nirgends erwähnt wird. Jantarowe Szlaki (zu deutsch: Bernsteinpfade) war zu jener Zeit das viel gelesene Organ des polnischen Tourismusverbandes PTTK und Piskorski (1915–1987) ein angesehener Reisebuchautor. Das touristische Interesse am kleinen Dorf Marcinkowice mag heute verwundern, aber in den 1980er Jahren waren reiselustige Polen zwangsläufig auf das eigene Land beschränkt und die Region um Tuczno (Tütz) galt als beliebtes Urlaubsziel.

Lagekarte von Marzdorf in Jantarowe Szlaki, Nr. 1, 1980 S. 33.

Auch in Marcinkowice sah Piskorski einen »recht wichtigen Ort für die Besichtigung von Sehenswürdigkeiten«, denn der Dorf habe als »Sitz der Familie Wedel-Tuczynski« mehrere Punkte zu bieten, »die für Touristen zweifellos von Interesse sind« und sei zudem ein guter Ausgangspunkte für Ausflüge in die Umgebung.

Zu den Punkten, die in Marzdorf Interesse verdienen, zählten seiner Meinung nach die »wertvolle Kirche in der Dorfmitte« und der Gebäudekomplex des staatlichen Landwirtschaftsbetriebs (PGR), in dem Reste des ehemaligen »Herrenhauses und des angrenzenden Parks« zu finden sind. Das Herrenhaus sei jedoch im Jahre 1957 abgebrannt und heute nur »ein sehr bescheidenes einstöckiges Gebäude«.

Piskorski nennt das früherer Marzdorfer Gutshaus ein »Dworek Wedlów«, denn er ist irrtümlich der Ansicht, die Tützer Familie Wedel habe in Marzdorf »residiert«, nachdem im »18. Jahrhundert die Burg in Tuczno zerstört« wurde. Solche Äußerungen zeigen, wie wenig vertraut die polnischer Historiker noch in der 1980er Jahren mit der Geschichte des Deutsch Kroner Landes waren. Natürlich war Marzdorf nie eine Residenz der Tützer Wedels, die bereits 1714 im Mannesstamm ausstarben, und natürlich wurde das Tützer Schloss erst 1945 zerstört. Das Marzdorfer Gutshaus ist auch vielmehr ein Dworek Gropius als ein Dworek Wedlów, denn die heute noch erkennbare Form hat es erst seit einem Umbau durch den Berliner Architekten Walter Gropius im Jahr 1867.

Dem Gutshaus, so Pisorski weiter, schließe sich »von Norden her ein vierstöckiges, recht großes Nebengebäude in Fachwerkbauweise« an. Auf dem Plan, der den Artikel illustriert, sind das Herrenhaus und sein Nebengebäude mit den Nummern 1 und 2 bezeichnet, die Nummer 3 kennzeichnet die frühere Gutsschmiede, die Nummer 4 ein Lagerhaus und die Nummern 5 und 6 Wirtschaftsgebäude. Die ganze, teilweise aus Bruchstein errichtete Anlage stellt für Pisorski einen typischen Junkerhof des 19. Jahrhundert dar. Erstaunlich ist, dass die Gutsbrennerei, die bis heute erhalten ist, im Artikel mit keinem Wort erwähnt wird. Ebenso wenig erwähnt Pisorski die Eigentümer des Guts von 1760 bis 1945 – die Familien Krzycki, Grabski, Kloer und vor allem Guenther.

Abbildung des Marzdorfer »Junkerhofs« in Jantarowe Szlaki, Nr. 1, 1980 S. 34

Im Jahre 1980 wurden die Gebäude des Marzdorfer Guts noch von dem »schnell wachsenden staatlichen Landwirtschaftsbetrieb« genutzt. Im Herrenhaus war ein Teil der Verwaltung der PGR untergebracht, die für ihre »hohen Leistungen sowohl im Ackerbau als auch in der Viehzucht« bekannt sei. Als Viehstand des Betriebes nennt Pisorski etwa 3.000 Rinder und fast 2.000 Schafe. Im früheren Gutspark, in dem sich »sowohl einheimische als auch exotische Bäume und Sträucher« finden, wurden Wildenten und Fasane gehalten.

Besonders viel Raum widmet Pisorski der Dorfkirche St. Katharina. Es handele sich um eine einschiffige Kirche »im Renaissancestil« mit einem massiven vierstöckigen Turm und Walmdach. Im Rundturm an der Nordseite sei noch ein »Fragment« der ursprünglich gotischen Backsteinkirche aus dem 14. Jahrhundert zu erkennen, die von Andreas Wedel-Tuczynski im 17. Jahrhundert umgebaut wurde. Noch später seien an den Seiten »zwei Vorhallen und eine Sakristei« angebaut wurden. Die Kirche sei nicht verputzt, so dass die Ziegelsteine sichtbar sind; sie weise zudem die für die Gotik charakteristischen Strebepfeiler auf und sei von einer historischen Steinmauer umgeben.

Im Inneren der Kirche findet Pisorski den Hauptaltar »sehr wertvoll«. Dieser sei ein Werk der Danziger Schule mit der Darstellung der Jungfrau Maria. Das Altarbild wurde um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert vom Maler Hermann Hahn geschaffen und gelte als eines der wichtigsten Kunstwerke dieser Zeit in Polen. Ursprünglich sei das Gemälde mit einem silbernen Kleid mit Krone und Ohrringen geschmückt gewesen, aber Konservatoren hätten diese Beigaben während der Renovierung entfernt.

»Sehr wertvoll« – das Marzdorfer Altarbild auf einem Foto von 2022.

Bemerkenswert findet Pisorski auch die zwölf Metallkugeln in der Kirche, von denen je sechs über dem Eingang zur Sakristei und über dem Haupteingang kreuzförmig angebracht sind. Bekannt stammen die Kugeln aus der Schlacht von Stuhm (1629) als Polen und Deutsche gemeinsam gegen die Schweden kämpften; Pisorski ordnet sie jedoch fehlerhaft der Schlacht bei Marienburg (1410) zu, die Polen gegen die Deutschordensritter bestritt. Früher habe es eine lateinische Inschrift zu den Kugeln gegeben, bemerkt Pisorski, aber diese sei verschwunden.

Interessant sind auch die weiteren Informationen, die Pisorski zum Dorf Marcinkowice gibt. Zwar fehlt bei ihm eine Angabe der Einwohnerzahl im Jahr 1980, aber wir erfahren, dass im Dorf zwei Lebensmittelgeschäfte bestanden und in der PGR ein Gemeinschaftsraum und eine Bibliothek mit Lesesaal vorhanden war. Es gebe im Dorf jedoch weder eine Gaststätte noch ein Restaurant, »obwohl das sehr nützlich wäre«. Auf einer zweiten Karte sind das Klubhaus mit der Kindertagesstätte (1), die Bibliothek (2), die Barock-Bildsäule des Heiligen Sebastian (3), ein Kindergarten (4), die neue und die alte Schule (5), die Direktion der PGR (6) und die Bildsäule des Heiligen Johann Nepomuk (7) eingezeichnet. Die beiden Bildsäulen datiert Pisorski auf das Jahr 1775 und gibt an, sie seien 1875 renoviert worden. Auf dem Plan ist ebenfalls die Bushaltestelle der PKS eingezeichnet, die das Dorf mit Tütz und Märkisch Friedland verband. In Tütz hatten die Touristen Anschluss an die staatlichen Eisenbahnlinien der PKP.

Ortsplan von Marzdorf in Jantarowe Szlaki, Nr. 1, 1980 S. 34. Der evangelische Friedhof ist ebenfalls eingezeichnet

In der Umgebung von Marzdorf findet Pisorski vor allem den Großen Böthinsee interessant, der sechs Kilometer östlich des Dorfes liegt. Dieser See sei nicht nur schön, sondern auch bei Anglern sehr geschätzt; zudem seien in der Nähe des Dorfes Böthin die Überreste einer frühmittelalterlichen slawischen Festung zu finden, die im Jahr 1107 von Bolesław Krzywousty zerstört wurde. Ein Wall mit einem Umfang von 150 Metern sei von der Festung erhalten geblieben.

Anmerkungen:

  • 1
    Czesław Piskorski: Marcinkowice – jedna z siedzib rodu Wedlów-Tuczyńskich (Marzdorf – einer der Sitze der Familie Wedel-Tuczyński). In: Jantarowe Szlaki, Kwartalnik Turystiyczno-Krajonznawczy, Województw Północnych, Rok XXIII, Nr. 1 (175), Styczeń-Marzec 1980, S. 33 bis 37.

Häusler, Bauern und Kossäten

Archiv 10

Die Artikelfolge zu den Kirchenbuch-Duplikaten von Marzdorf, die im Dezember an dieser Stelle veröffentlicht wurde, ist mittlerweile – leicht überarbeitet – als Nummer 10 des Archivs erschienen und kann hier heruntergeladen werden. In dem Heft wird versucht, die demografischen und sozialen Entwicklungen in der Pfarre Marzdorf zwischen 1823 und 1874 nach den Eintragungen im Kirchenbuch darzustellen.

Die Kirchenbuch-Duplikate habe ich vollständig abgeschrieben und in einer Excel-Arbeitsmappe zusammengefasst. Diese Datei werde ich bei Interesse per Mail versenden. Eine Möglichkeit zum Download kann ich nicht anbieten, da es sich um eine offene Datei handelt.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern ein glückliches und friedfertiges Neues Jahr. Wszystkim życzymy szczęśliwego i pomyślnego Nowego Roku. Happy New Year to all of you.

Die Pfarre Marzdorf 1823-1874 – Teil III

Das Allgemeine Landrecht von 1794 verlangte bei allen Eintragungen ins Kirchenbuch zwingend die Angabe des Standes der Eltern, der Verstorbenen und der jeweiligen Zeugen. Diese Informationen finden sich auch in den Kirchenbuch-Duplikaten, was Rückschlüsse auf die gesellschaftliche Struktur der Marzdorfer Pfarre ermöglicht. Allerdings sind die Standesbegriffe, die in den Zweitschriften gebraucht werden, äußerst vielfältig und wenig konsistent. Allein in den Duplikaten der Taufbücher der Jahre 1823 bis 1874 lassen sich bei insgesamt 2 764 Einträgen 116 unterschiedliche Standesangaben in deutscher und lateinischer Sprache zählen.

Viele dieser Angaben – gerade bei den Trauzeugen – beschränken sich auf die Nennung des Familienstandes: Jüngling, Ehefrau, Witwe. Bei anderen Ereignissen notierten die Pfarrer Berufsangaben – Schuhmacher, Schneider, Briefträger – abwechselnd mit Angaben zum Besitz – Eigentümer, Pächter, Gutsbesitzer – oder zu einer sozialen Funktion: Kirchenvorstand, Schulze, Dorfdiener. Am häufigsten sind jedoch Bezeichnungen, die gesellschaftlich und historisch konnotiert sind: Bauer, Kossät, Beikossät, Einlieger, Erbherr.

In der Vielfalt der Standesangaben spiegeln sich fundamentale Veränderungen in der preußischen Gesellschaft seit dem Ende des 18. Jahrhunderts. Die tradierten Geburtsstände wie Edelmann, Bauer oder Bürger wurden zunehmend durch Besitzstände abgelöst, neben denen sich bereits funktionale Berufsgruppen formierten1Die Erosion der ständischen Gesellschaft war nur ein Aspekt des Wandels, den die preußischen Landgemeinden im Zeitraum von 1830 bis 1900 in ökonomischer, administrativer und juristischer Hinsicht erlebten. Siehe dazu: P. Wagner: Bauern, Junker und Beamte. 2005..

Wie bereits erwähnt, führte Conrad Busse die Kirchenbuch-Duplikate von 1825 bis 1835 durchgängig auf Latein. Die nachfolgende Tabelle stellt den von ihm genutzten lateinischen Standesbegriffen die deutschsprachigen zur Seite, die in den übrigen Jahren – mitunter bei denselben Personen – Verwendung fanden

LateinDeutschLateinDeutsch
AgricolaKossät, EigentümerFerri FaberSchmied
BaccalaureusSchullehrerHare(de)s bonorumErbherr des Gutes
CarpentariusStellmacherInquilinus2Nach I. J. G. Scheller: Deutsch-lateinisches Lexicon. 1784, Spalte 757 ist ein inquilinus ein Häusler »ohne eigenes Haus«.Einwohner, Einlieger
CauponisGastwirt, HändlerOpilioSchaf- o. Ziegenhirt
ColonusBauerPastor (pecoris)(Schweine-)hirt
ConductorisPächterPiscatorFischer
CossetusKossät, EigentümerPossessor domusHäusler
Custodis saltus / silvaeWaldhüter, FörsterSartorSchneider
Fabri cupariiKüfnerScriniariusTischler
Fabricator CrematiBrennerScultetusSchulze
Famula, FamulusGehilfeVillicus(Guts-)Verwalter
Tabelle 10: Standesbezeichnungen auf Latein und Deutsch.

Die ständische Gesellschaft im ländlichen Preußen des 19. Jahrhunderts war hierarchisch geprägt, wobei sich aus jeder Position spezifische Rechte (und Pflichten) ergaben. An der Spitze der Standespyramide stand der Gutsherr, der nicht nur über den meisten Besitz verfügte, sondern bis 1873 auch die örtliche Polizeigewalt und bis 1849 die Patrimonialgerichtsbarkeit ausübte. Er stand als Patron den Kirchen und Schulen des Amtsbezirks vor, für deren Unterhalt er verantwortlich war3In den Schulakten von Königsgnade, die heute in Piła verwahrt werden, befindet sich eine Aufstellung über Patronatslasten in Höhe von 73 113 Mark, die das Dominium Marzdorf noch in den Jahren 1894 bis 1923 für den Unterhalt der lokalen Schulen und Kirchen aufbringen musste. (Regierung Marienwerder/Schneidemühl: Actra betr. Schulbauten in Königsgnade 1887-1936, undatiertes Schreiben, ohne Pagina.). Die Rechte des Gutsherr waren nicht an seine Person gebunden, sondern an den Gutsbesitz – formal betrachtet handelte sich also um einen Besitzstand, dem freilich eine ganz besondere administrative und gesellschaftliche Rolle zufiel. Die Besitzverhältnisse des Marzdorfer Dominiums änderten sich zwischen 1823 und 1874 zweimal: Bis 1832 war der Erbherr Kalixtus von Grabski Eigentümer des Guts, dann fiel es in Folge einer Subhastation an Carl Ferdinand Kloer, der es wiederum 1848 an Franz Guenther verkaufte. Sowohl die Namen Grabski wie auch Kloer sind in den Kirchenbuch-Duplikaten zu finden, Angehörige der Familie Guenther finden sich hingegen nicht.4In den Kirchenbuch-Duplikaten findet sich bei drei Taufen der Jahre 1864 bis 1872 noch ein weiterer »Gutsbesitzer«: Bernhard Schmidt in Marzdorf. Diese Standeszuschreibung durch die Pfarrer Steinke, Harski und Krefft ist rätselhaft, denn Bernhard Schmidt bewirtschaftete kein Gut, sondern das Kruggrundstück, dass sein Vorfahr Martin Schmidt 1706 erworben hatte. Dessen Nachfahre Christoph Schmidt wird 1772 als Zinsbauer auf einer Hufe Land im Kontributionskataster erwähnt, wo sich auch eine Abschrift des ursprünglichen Privilegs findet. GStA PK: Kontributionskataster Dorf Martzdorff, Blatt 251 ff.

Weit unterhalb des Gutsherrn, aber an der Spitze der eigentlichen Dorfgesellschaft standen die Bauern, die in den Zweitschriften auch die Bezeichnung Colonus5Die eigentliche Wortbedeutung von Colonus ist »Jemand, der sich mit dem Ackerbau beschäftigt, gleichviel ob auf seinem Eigenthume oder als arator oder im Kleinen, d. h. als Pächter einer Staatsdomäne oder eines Privatgrundstückes«. (F. Schmalfeld: Lateinische Synonymik. 1869, S. 139.) Im Duplikat wird der Begriff immer nur für die bäuerlichen Eigentümer verwendet. tragen. Im 19. Jahrhundert bildeten auch sie de jure nur einen Besitzstand, dem keine Sonderrechte gegenüber anderen ländlichen Eigentümern zukam. Faktisch war das jedoch anders, denn vielerorts bestimmten die Bauern traditionell mehr oder minder allein die Geschicke eines Dorfes. In der Regel stellten sie den Schulzen und die Dorfgeschworenen, weil andere Bevölkerungsgruppen dazu »weder die Zeit noch das nöthige Ansehen«6R. Wegner: Grundzüge einer zeitgemäßen Reorganisation des Gemeindewesens. 1850, S. 34. hatten.

Eine herausgehobene Schicht innerhalb des Bauernstandes bildeten die Freibauern und Freischulzen, die schon vor der Bauernbefreiung von persönlichen Diensten befreit waren7»Auch in Westpreußen waren schon in polnischer Zeit an einigen Orten die Bauern von Scharwerksdienst entbunden und auf einen höhern Zinsfuß gesetzt; sie hießen Freibauern […]«. A. von Haxthausen: Die ländliche Verfassung in den Provinzen Ost- und West-Preußen. 1839, S. 225.. Zum Bauernstand gehörten ebenfalls die Gastwirte, die ihren Dorfkrug in der Regel im Nebenerwerb8Eine Ausnahme mag Johann Neumann in Marzdorf gewesen sein, der ab 1863 genannt wird. führten, und die Altsitzer, die mit zehn Taufen in den Kirchenbuch-Duplikaten verzeichnet sind. Es war damals nicht ganz ungewöhnlich, dass sich Bauern schon früh aufs Altenteil zurückzogen, als Witwer dann noch einmal heirateten und eine neue Familie gründeten. Der Elbinger Stadtrat Rudolph Wegner schrieb dazu 1850:

»Allgemein üblich ist es z. B. daß der junge Bauersohn sich wo möglich durch Verbindung mit einer alten Wittwe in einen Hof hinein heirathet, und sich in späteren Jahren, wenn diese gestorben, wieder durch ein unverhältnißmäßig junges Weib zu entschädigen sucht. Aus natürlicher Trägheit liebt es dann der Bauer, sich kaum 50jährig von seinem Sohn auf Altentheil setzen zu lassen, wodurch er, noch in vollen Kräften, zur drückendsten Last der Seinen wird, was natürlich kein gutes Familienverhältniß giebt.«9R. Wegner, a. a. O. 1850, S. 53.

Eine Stufe unter den Bauern standen die Kossäten, die im Kirchenbuch auch Ackersmann, Agricola, Cossetus, Halbbauer oder Eigentümer10Einige Begriffe werden zeitlich versetzt genutzt: Ackersmann nur 1823, Cossetus nur 1825, Agricola von 1825 bis 1835, Halbbauer nur 1872. Mit den Begriffen Kossät und Eigentümer werden zudem gleiche Personen benannt, so gilt Johann Günterberg in Marzdorf 1858 als Eigentümer, 1860 als Kossät, 1862 und 1864 wieder als Eigentümer und 1865 sowie 1870 als Kossät. benannt sind. Sie bewirtschafteten ebenfalls als Landwirte den eigenen Besitz, der aber meist kleiner ausfiel als die bäuerlichen Höfe. Vor der Gemeinheitsteilung (in Königsgnade 1850) gehörte das Land der Kossäten nicht – oder nicht gänzlich – zur bäuerlichen Feldflur der Dörfer, weshalb sie bei Flursachen nicht mitbestimmen konnten11»Daraus erklärt sich das geringere Ansehen des Kossäthen: er hat keinen Antheil an den gemeinsamen Angelegenheiten der Flur, er hat in Flursachen nicht mit­zureden; er steht außerhalb des Kreises der Bauern, des Kreises, der durch die Wirthschaft nach gemeinsamer Regel zusammengehalten wird.« G. F. Knapp: Die Bauern-Befreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Theilen Preußens. 1887, S. 12.. Nach der Gemeinheitsteilung wurde dieser Unterschied hinfällig, der Standesbegriff blieb aber bestehen. Wie aus den Duplikaten hervorgeht, waren einige der Fischer in Neu Prochnow – z. B. Johann Behnke und Joseph Manthey – gleichzeitig Kossäten.

Die Beikossäten, die eine Stufe unter den Kossäten standen, stellten unter diesem Namen eine Besonderheit des Deutsch Kroner Landes dar. Auch sie bewirtschafteten als Landwirte eigenen Besitz, dessen Umfang jedoch nicht ausreichte, um die Familie zu ernähren. Sie verdingten sich deshalb zeitweise als Landarbeiter auf dem Gut – seltener in den Bauernwirtschaften der Pfarre – und waren damit nur noch nebenbei Kossäten. In den Duplikaten ist diese Kategorie erst ab 1842 zu finden. Es ist unbekannt, ob es den Stand vorher nicht gab oder ob Pfarrer Busse seine Angehörigen nur nicht so bezeichnete.

Ebenfalls zu den Landwirten – jedoch nicht zu den Landbesitzern – gehörten die Pächter, die in der Pfarre Marzdorf freilich nicht häufig waren. Die Kirchenbuch-Duplikate nennen in Marzdorf die Kirchenland-Pächter Martin Kluck und Martin Schulz sowie in Lubsdorf die Pfarrbüdner Johann Schulz und Johann Schmidt, die wohl eine Pachtstelle nacheinander bewirtschafteten12Johann Schmidt wird in den Kirchenbuch-Duplikaten erstmalig 1867, nach dem im Oktober 1866 erfolgten Tod von Johann Schulz, als Pfarrbüdner in Lubsdorf erwähnt.. Zusätzlich wird in Königsgnade 1856 Martin Garske als Erbpächter bezeichnet, der freilich noch 1855 als Eigentümer im Duplikat stand. Es ist bekannt, dass die Familie Kluck das Pacht­land auf dem Abbau Iretz später erwarb. In diesem Fall wurden aus Pächtern Bauern.

Anders als die Pächter gehörten die Häusler zu den ländlichen Grundbesitzern, nicht aber zu den Landwirten. Ihr Eigentum beschränkte sich auf das eigene Haus und etwas Gartenland, das im Nebenerwerb bestellt wurde. Im Haupterwerb waren viele Häusler Handwerker, was die Pfarrer mitunter auch in den Duplikaten vermerkten: So findet sich Johann Garske aus Marzdorf als Häusler und Schmied und Johann Göhrke in Königsgnade als Häusler und Schuhmacher in den Büchern. In Dreetz und Neu Prochnow waren einige der Fischer Häusler, in Marzdorf stellten sie einen hohen Anteil der beständigen Gutsarbeiter. In drei Fällen wird in den Taufbuch-Duplikaten die Standesbezeichnung Käthner gebraucht, die eigentlich den Kossäten bezeichnet. Pfarrer Katzer nutzte sie aber in allen drei Fällen13Der 1842 als Käthner geführte Peter Garske aus Königsgnade erscheint im Separationsrezess von 1850 als Eigenhäusler mit 15 Morgen Land. Die im Rezess ebenfalls genannten Kossätenhöfe waren durchschnittlich 50 Morgen groß. (GStA PK: Grundsteuer-Kataster des adlichen Dorfes Koenigsgnade 1841-1850.) für Häusler.

Auf der untersten Stufe der ländlichen Gesellschaft stand der besitzlose Stand der Landarbeiter, die in den Kirchenbuch-Duplikaten als Einlieger, Einwohner14Die Bezeichnung Einwohner findet sich nur 1824 in den Duplikaten. Im Jahr 1823 nutzte Pfarrer Busse auch für diese Gruppe die Bezeichnung Häusler, im Jahr 1825 wechselte er zu Inquilinus., Inquilini, Arbeiter15Die Bezeichnung Arbeiter wird in den Duplikaten nur von Pfarrer Steinke in den Jahren 1865 bis 1867 gebraucht. Die Pfarrer Katzer, Harski und Krefft schrieben Arbeitsmann., Tagelöhner, Bediente, Knechte oder Mägde benannt sind. All diese Bezeichnungen wurden zeitlich verschoben mehr oder minder synonym genutzt, und es finden sich viele Fälle, in denen Knechte bei anderer Gelegenheit als Einlieger oder Arbeiter galten. Wenn nicht die Nachlässigkeit der Pfarrer die Ursache war, scheint diese Schicht überhaupt eine gewisse Durchlässigkeit besessen zu haben, denn mancher Einlieger oder Knecht steht bei anderen Anlässen als Beikossät16Ein Beispiel ist Franz Marten aus Marzdorf, der 1863 im Taufbuch-Duplikat als Arbeitsmann bezeichnet wird, 1865 als Beikossät, 1870 als Einlieger und 1872 wieder als Beikossät. oder Häusler17Stephan Litfin aus Marzdorf z. B. wurde in den Taufbuch-Duplikaten 1863 als Arbeitsmann geführt, 1865 und 1867 als Einlieger, 1869 als Häusler, 1872 wieder als Einlieger. Etwas glaubwürdiger erscheint die Entwicklung bei Michael Kluck aus Königsgnade: Er wurde 1859 als Knecht geführt, 1861 bis 1863 als Einlieger und ab 1865 als Häusler. in den Duplikaten. Die Mehrheit der Landarbeiter fand sicherlich auf dem Gut in Marzdorf Beschäftigt, aber auch in den Bauerndörfern der Umgebung sind Einlieger, Knechte und Mägde zu finden. Interessant ist vielleicht die Karriere von Martin Schmidt, der 1829 als Famulus diente, 1831 als Inquilinus Erwähnung fand und nach 1833 als Vogt das Marzdorfer Gut verwaltete.

Neben den beschriebenen Gruppen werden in den Kirchenbuch-Duplikaten Standesangaben verwendet, die speziellen Funktionen in der Dorfgemeinschaft oder der Gutswirtschaft bezeichnen: Briefträger, Brenner, Chaussee-Aufseher, Dorfdiener, Forstverwalter, Gärtner, Hirt, Kaufmann, Lehrer, Postillion, Schäfer, Wirtschaftsinspektor. Diese Angaben finden sich bei insgesamt 158 Taufeinträgen in den Kirchenbuch-Duplikaten, wobei allein 53 auf Schäfer und Hirten entfallen.

Trotz aller Unschärfe des vorhandenen Materials wird in der nachfolgenden Tabelle versucht, die 2764 Taufen der Duplikate sieben sozio­ökonomischen »Standes«-Gruppen zuzuordnen, und aus den gegebenen Namen der Eltern die Zahl der jeweils zugehörigen Familien18Im Grunde handelt es sich um Paarbeziehungen, denn durch den frühen Tod eines Ehegatten entfielen auf einige Familien mehrere Elternteile. zu ermitteln:

StandesgruppeZahl der TaufenAnteil in %Zahl d. FamilienAnteil in %
Bauern58321,116216,1
Kossäten2559,1777,6
Beikossäten28910,512112,0
Pächter230,8101,0
Häusler75127,224524,3
Handwerker1716,2767,5
Besitzlose Einlieger50618,323823,6
Sonstige1585,7777,7
ohne Angabe im Duplikat281,010,1
Summe2.7641007100
Tabelle 11: Eine Annäherung an die Sozialstruktur der Pfarre.

Der Gruppe der Bauern (inklusive der Schulzen, Freibauern, Krügern) gehörten also 16,1 Prozent der identifizierten Familien der Pfarre an, auf die jedoch 21,1 Prozent der Taufen entfielen. Im Durchschnitt hatte jede bäuerliche Familie 3,6 Kinder. Auch die Gruppen der Kossäten und der Häusler waren bei ihrem Anteil an den Taufen leicht überrepräsentiert; in diesen Gruppen kamen im Durchschnitt 3,3 bzw. 3,1 Kinder auf eine Familie. Auf die prekäreren Gruppen der Beikossäten, Handwerker und Einlieger entfielen hingegen im Verhältnis weniger Taufen. In diesen Standesgruppen hatte eine Familie im Durchschnitt 2,4 (Beikossäten), 2,3 (Handwerker) und 2,1 (Einlieger) Kinder. Auch in der breitgefächerten Gruppe der Sonstigen lag die durchschnittliche Kinderzahl bei 2,1. Viele Angehörige dieser Gruppe hielten sich allerdings nur kurz in der Pfarre auf oder zogen gar – wie die Schäfer – im ganzen Land umher.

In den Kirchenbuch-Duplikaten sind auch 48 Taufen nach Geburten außerhalb einer Ehe aufgeführt, von denen 24 keine Angaben zum Stand aufweisen, 22 aber der Gruppe der Einlieger zuzuordnen sind, denn die Mütter waren Mägde. Je eine uneheliche Geburt entfiel auch auf die Gruppe der Häusler und Beikossäten.

Zehn der unehelichen Kinder finden sich ebenfalls in den Duplikaten der Totenbücher; sieben von ihnen starben im ersten Lebensjahr. Bei drei Kindern steht der Todeseintrag bereits im Taufbuch, denn sie überlebten die Geburt nicht. Aus diesen Angaben lässt sich eine Säuglingssterblichkeit von 22,9 Prozent bei den »illegitimen« Geburten errechnen – gegenüber 19,4 Prozent bei allen Kindern. In Marzdorf wurden 16 uneheliche Kinder geboren, in Lubsdorf elf, in Brunk und Königsgnade je sechs, drei in Dreetz, je zwei in Böthin und Märkisch Friedland, eins in Neu Prochnow. Von den 48 genannten Geburten entfielen 32 auf die knappe 15 Jahren von 1860 bis 1874, in der ledige Frauen vermutlich nicht mehr so streng einer sozialen Kontrolle unterworfen waren.

Es ist interessant, dass die Sozialstruktur der Marzdorfer Pfarre offenbar der ähnelte, die Robert Stein 1934 für das ländliche Ostpreußen ermittelte. Dort machten Bauern und ihre Familien im Jahr 1859 25,1 Prozent der Bevölkerung aus, Eigenkätner (Besitzer kleinerer Bauernwirtschaften) 10 Prozent und Landarbeiter 40,5 Prozent19Zitiert nach: P. Wagner, a. a. O. 2005, S. 41.. In Marzdorf entfallen auf die Bauern 21,1 Prozent, auf die Kossäten 9,1 Prozent, auf die Beikossäten, Häusler und Einlieger 56 Prozent der Taufeinträge in den Kirchenbuch-Duplikaten. Die letzten beiden Gruppen lassen sich freilich nicht vollständig den Landarbeitern zurechnen, da – bedingt durch die mangelnde Trennschärfe im Datenmaterial – auch Handwerker, Hauspersonal, Fischer etc. enthalten sind. Stein konstatierte für Ostpreußen einen deutlichen Rückgang der Bauernwirtschaften, eine leichte Zunahme der Kätnerstellen und ein starkes Anwachsen der Landarbeiter im Verlauf des 19. Jahrhunderts. Die nachfolgende Grafik stellt die Struktur der Marzdorfer Pfarre in den Jahren 1823 bis 1835, 1842 bis 1859 und 1860 bis 1874 anhand der Einträge in den Taufbuch-Duplikaten dar.

Trotz aller Mängel in der Berechnung, in der vom Anteil einer Bevölkerungsgruppe an den Taufen auf deren Anteil insgesamt geschlossen wird, ist auch in der Marzdorfer Pfarre ein deutlicher Rückgang der Bauern, ein leichte Zunahme der Kossäten und ein kontinuierliches Wachstum bei den Landarbeitern (zusammengefasst aus Beikossäten, Häuslern und Einliegern) festzustellen. Anders als in Ostpreußen sank der bäuerliche Anteil an den Taufen jedoch erst ab 1860 nach einem leichten Anstieg in den 1840er Jahren. Der Rückgang in der Gruppe der »sonstigen Einwohner« ist darauf zurückzuführen, dass die Zahl der Hirten und Schäfer beständig abnahm. Ihr Anteil an den Taufen reduzierte sich von 3,3 Prozent in den Jahren 1823 bis 1835 auf 2,5 Prozent in den Jahren 1842 bis 1859 und lediglich 0,6 Prozent in den Jahren 1860 bis 1874.

Wie veränderte sich die Bevölkerungsstruktur aber in den einzelnen Orten? Die nächste Grafik zeigt die Entwicklung bei den drei Hauptgruppen der Bauern, der Kossäten und der Landarbeiter (wiederum zusammengefasst aus Beikossäten, Häuslern und Einliegern) in den vier Hauptorten der Pfarre Marzdorf auf der Grundlage der Taufeinträge:

Wie erwartet, zeigte das Gutsdorf Marzdorf eine vollständig andere Struktur als die Bauerndörfer Brunk, Königsgnade und Lubsdorf. In Marzdorf gab es nur sehr wenig Bauern und Kossäten, den Großteil der Bevölkerung machten die Arbeitskräfte des Dominiums aus, das zu den bedeutendsten Rittergütern der Kreises Deutsch Krone zählte. Die Sozialstruktur in Marzdorf änderte sich im Verlauf des halben Jahrhunderts von 1823 und 1874 trotz der Besitzerwechsel nur sehr wenig. Die ermittelten Abweichungen bleiben mehr oder weniger im Rahmen der statistischen Unschärfe.

Ganz anders verhielt es sich in den Bauerndörfern. Sie erlebten in diesem Jahrhundert tiefgreifende Veränderungen, die sich besonders exemplarisch am Beispiel von Königsgnade darstellen lassen. In den Jahren 1823 bis 1835 hatte dort die Gruppe der freigewordenen und auf die Feldmark ausgesiedelten früheren Gutsbauern einen Anteil von rund 42 Prozent an allen verzeichneten Taufen. Dieser Anteil erhöhte sich in den nächsten Jahren noch einmal auf fast 47 Prozent, um dann auf nur noch 27 Prozent zu fallen. Gleichzeitig stieg die Zahl der Taufen, die in den Kirchenbuch-Duplikaten auf die Landarbeiter entfallen, kontinuierlich und zuletzt sprunghaft von 27,7 auf 46,2 Prozent an. Der Taufanteil der Kossäten nahm ebenfalls zu, aber deutlich langsamer als jener der Landarbeiter, auf die in den Jahren 1860 bis 1874 fast jede zweite Taufe entfiel. Die traditionsreicheren Bauerndörfer Brunk und Lubsdorf machten ähnliche Veränderungen durch, die aber nicht so deutlich ausfielen wie in Königsgnade. In beiden Dörfern lag der Taufanteil der Landarbeiter allerdings immer höher als in Königsgnade; zuletzt erreicht er 51,8 bzw. 57,4 Prozent.

Für diese Entwicklung sind nur zwei Erklärungen möglich: Entweder fielen in Brunk, Königsgnade und Lubsdorf zwischen 1823 und 1874 Bauernstellen weg oder die vorhandenen Bauernhöfe steigerten den Einsatz von Lohnarbeitskräften. Für die erste Erklärung gibt es keine Hinweise. Das Dorf Königsgnade z. B. wurde 1821 mit 19 Bauern- und sechs Kossätenhöfen20E. J. Krefft, a. a. O. August 2020, S. 10. gegründet, bestand 1850 aus 19 Bauernhöfen, sechs Kossätengehöften sowie zwei Eigenhäuslern21GStA PK: Grundsteuer-Kataster des adlichen Dorfes Koenigsgnade (1841-1850). und wies auch im Jahr 1945 noch 18 Bauernwirtschaften mit einer Betriebsgröße über 20 Hektar und sechs Kleinbauernhöfe mit einer Betriebsgröße zwischen zehn und 20 Hektar auf22Bundesarchiv Bayreuth: Grund- und Betriebslisten der Heimatauskunftstelle für den Regierungsbezirk Schneidemühl – Gemeinde: Königsgnade vom 24./25. September 1956..

Viel wahrscheinlicher scheint die Hypothese, dass die bestehenden Bauernhöfe ihre Wirtschaften nach der Separation ausweiteten und intensivierten. Vermutlich wurde die traditionelle Drei-Felder-Wirtschaft aufgegeben, bisherige Gemeinschaftshütungen und -wiesen in Ackerland verwandelt und Brachflächen urbar gemacht. Der Rückgang des Anteils der Schäfer und Hirten an den Taufen deutet in diese Richtung. Die neue Wirtschaftsweise erforderte den vermehrten Einsatz von Arbeitskräften, die zumeist aus der Pfarre selbst stammten und als Häusler oder Beikossäten die Dorfbevölkerung vermehrten.

Wenn diese Hypothese zutrifft, wäre nicht das Gut in Marzdorf, sondern die vielen Bauernwirtschaften die Hauptträger der Modernisierung nach 1860 gewesen. Das Sozialgefüge in der Pfarre änderte sich, weil die Bauern sich Marktbedingungen anpassten. Offenbar waren sie dabei auf längere Sicht erfolgreich, denn ab 1890 wurden die meisten Bauerngehöfte z. B. in Königsgnade durch Neubauten ersetzt, die der veränderten Wirtschaftsweise entsprachen. Ob freilich auch die ländlichen Unterschichten an den Erfolgen der Modernisierung partizipierten, ist eine ganz andere Frage. Die beachtliche Auswanderung nach Australien, Kanada und den USA, die bis in die 1870er Jahre anhielt, lässt das Gegenteil vermuten. Hinweise auf Migration finden sich in den Marzdorfer Kirchenbuch-Duplikaten – anders als z. B. in den Taufbüchern der katholischen Pfarre Mellentin23Ecclesiae Parochialis Mellentinensis: Liber Baptizatorum [Taufbuch der Parochial-Kirche von Mellentin] 1846-1888. Das Buch liegt ebenfalls in einer Abschrift vor, die bei mir angefordert werden kann. – allerdings nicht.

Die nachfolgende Grafik stellt auf Grundlage der Taufbuch-Duplikate Veränderungen in den unterbäuerlichen Schichten der Beikossäten, der Häusler und der Einlieger dar.

Bei aller Vorsicht gegenüber dem Datenmaterial sind doch einige Entwicklungen erkennbar. Die Gruppe der Beikossäten, die erst ab 1842 in den Kirchenbuch-Duplikaten genannt wird, war nur im Gutsdorf Marzdorf von einiger Bedeutung, aber auch hier ging ihr Anteil an den Taufen in den Jahren 1860 bis 1874 zurück. In allen Gemeinden stieg über alle Jahre hinweg der Anteil der Häusler, während der Anteil der besitzlosen Einlieger in den Bauerndörfern nach 1842 stagnierte, sich jedoch in Marzdorf verdoppelte. In Marzdorf wie den Bauerndörfern bildete ab 1842 der Stand der Häusler – dem ja zusätzlich die meisten Handwerker zugehörten – die zahlenmäßig stärkste Bevölkerungsgruppe. Von der gesellschaftlichen Mitwirkung blieb diese Schicht kleiner Hauseigentümer freilich bis 1918 weitgehend ausgeschlossen, weil die Kommunalverfassung den Großbesitz bevorzugte.

Von den 569 Hochzeiten, die sich in den Kirchenbuch-Duplikaten finden, lassen sich 172 nicht zur Feststellung der Sozialstruktur nutzen, weil die Pfarrer entweder bei der Braut, beim Bräutigam oder auch bei beiden nur den Familienstand (z. B. Witwer, Jungfrau) notierten und auf weitere Angaben verzichteten. Besonders häufig kam das in den Jahren 1870 bis 1874 vor, in denen bei 64 von insgesamt 69 Heiratseinträgen nur unzureichende Standesangaben vorliegen. Für die Auswertung sind mithin 442 Datensätze geeignet, bei denen in 158 Fällen für Bräutigam und Braut derselbe Stand angegeben wurde – das betrifft ein Drittel aller Eheschließungen. Die nachfolgende Tabelle verdeutlicht den Anteil der einzelnen Schichtgruppen an den 884 vorliegenden Einzeldaten für Braut bzw. Bräutigam sowie die Häufigkeit von identischen Angaben:

StandNennungen beim BräutigamNennungen bei der BrautAnteil an allen NennungenAnteil standesgleicher Ehen
Bauern14217135,4 %58,2 %
Kossäten37398,6 %7,9 %
Beikossäten26447,9 %40,0 %
Häusler677716,3 %16,3 %
Handwerker17113,2 %7,1 %
Fischer751,4 %16,7 %
Hirten17113,2 %7,1 %
Einlieger32286,8 %26,7 %
Arbeiter752311,1 %26,5 %
Sonstige22336,2 %14,0 %
Tabelle 12: Auch an den Eheschließungen lag der Anteil der Bauern bei über einem Drittel.

Das Standesbewusstsein erscheint – wie erwartet – bei den Bauern besonders hoch, aber auch in den unterbäuerlichen Schichten der Beikossäten, Einlieger und Arbeiter wurde mehr als ein Viertel aller Ehen standesgleich geschlossen. Das scheinbar geringe Standesbewusstsein der Kossäten täuscht: Zwar wurden nur 7,9 Prozent der Hochzeiten im Stand selbst geschlossen, aber bei weiteren 39,5 Prozent kam der Partner aus dem Bauernstand. Zwischen den beiden landwirtschaftlichen Besitzergruppen bestand offenbar eine Affinität. Die nachfolgende Tabelle gibt an, welcher Stand von den einzelnen Gruppen bei einer Eheschließung präferiert wurde, und nennt den Anteil der drei häufigsten Nennungen an allen Hochzeiten dieser Gruppe:

Stand1. Rang2. Rang3. RangAnteil an allen Hochzeiten
BauernBauernHäuslerKossäten80,5 %
KossätenBauernHäuslerArbeiter69,7 %
BeikossätenBeikossätenArbeiterHäusler81,4 %
HäuslerHäuslerBauernArbeiter69,4 %
HandwerkerBauernSonstigeArbeiter67,9 %
FischerBauernFischerEinlieger66,7 %
HirtenBauernArbeiterHäusler57,1 %
EinliegerEinliegerBauernArbeiter58,3 %
ArbeiterArbeiterBeikossätenHäusler57,1 %
PächterBauernSonstige100,0 %
SonstigeBauernSonstigeHandwerker48,8 %
Tabelle 13: Bei den Pächtern sind in den Duplikaten nur 12 Hochzeiten verzeichnet, von denen 9 mit Bauern und je eine mit einem Lehrer, einem Förster und einem Bahnwärter geschlossen wurden.

Die vom Elbinger Stadtrat Wagner vorstehend beschriebenen Ehen zwischen altersungleichen Partnern aus dem Bauernstand kamen auch in der Marzdorfer Pfarre vor. Die Kirchenbuch-Duplikate verzeichnen zwischen 1825 und 1872 25 Eheschließungen von verwitweten Bauern; bei neun dieser Trauungen war die Braut mindestens zehn Jahre jünger, bei drei sogar mehr als 20 Jahre jünger als der Bräutigam. Ein hervorstechender Fall ist der des 60-jährigen Witwers und Altsitzers Martin Koltermann aus Brunk, der 1855 die 23-jährige Stellmachertochter Ernestine Radke heiratete.

Auf der anderen Seite verzeichnen die Kirchenbuch-Duplikate in den Jahren 1829 bis 1847 fünf Fälle, in denen Bauernwitwen ein zweites Mal heirateten. Bei zwei dieser Trauungen war der Bräutigam zehn oder mehr Jahre jünger als die Braut. Das Extrem stellt hier die Trauung der 45-jährigen Witwe Christina Robek aus Königsgnade mit dem 23-jährigen Knecht Martin Garske im Jahr 1847 dar.

Altersungleiche Ehen kamen jedoch nicht nur beim Bauernstand vor. Bei 23 Trauungen von Witwen aus anderen Ständen, die in den Kirchenbuch-Duplikaten zwischen 1828 und 1869 verzeichnet sind, war in vier Fällen der Bräutigam mindestens zehn Jahre jünger, in zwei Fällen jedoch auch mindestens zehn Jahre älter als die Braut. Bei den 50 Eheschließungen von Witwern aus anderen Ständen, die sich zwischen 1823 und 1872 in den Duplikaten finden, war in 19 Fällen die Braut mindestens zehn Jahre jünger, in sechs Fällen sogar mehr als 20 Jahre jünger als der Bräutigam. Zu den Witwern, die mit jüngeren Frauen eine zweite Ehe schlossen, zählte der 60-jährige Lehrer Michael Schulz aus Lubsdorf, der 1855 die 37-jährige Einliegertochter Anna Remer heiratete, und der 50-jährige Bürger Christoph Krause aus Deutsch Krone, der 1857 die 29-jährige Fischertochter Anna Maria Miranowski aus Dreetz ehelichte.

Die Tatsache, dass Witwer an 75 der 569 in den Duplikaten verzeichneten Hochzeiten beteiligt waren, Witwen aber nur an 28, ist gewiss auch auf das Risiko zurückzuführen, mit denen in der damaligen Zeit Geburten behaftet waren. Insgesamt wird in den Duplikaten der Sterbebücher 34-mal die Todesursache »Wochenbett« bzw. »Puerperio« genannt – das bedeutet einen Anteil von zehn Prozent an allen Sterbeeinträgen, die Frauen im Alter von 13 Jahren oder mehr betreffen.

Wie oben erwähnt lag die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen und Männer, die das erste Lebensjahr erreicht hatten, in der Pfarre Marzdorf bei 34 Jahren. Die nachfolgende Tabelle nennt die Werte für die einzelne Standesgruppen:

StandLebenserw. ab 1. Jahr – FrauenLebenserw. ab 1. Jahr – MännerLebenserw. ab 10 Jahren – FrauenLebenserw. ab 10 Jahren – Männer
Bauern39,5 Jahre43,2 Jahre48,9 Jahre54,4 Jahre
Kossäten34,5 Jahre38,3 Jahre48,5 Jahre55,1 Jahre
Beikossäten43,0 Jahre39,0 Jahre51,5 Jahre48,1 Jahre
Häusler27,3 Jahre28,7 Jahre44,5 Jahre42,3 Jahre
Einlieger u. Arbeiter36,2 Jahre38,3 Jahre46,5 Jahre50,6 Jahre
Sonstige32,6 Jahre25,4 Jahre46,6 Jahre44,2 Jahre
Alle Stände34,0 Jahre34,0 Jahre48,6 Jahre49,7 Jahre
Tabelle 14: Statistisch gesehen lebten männliche Kossäten und Bauern am längsten, Häusler am kürzesten.

Zum Abschluss soll hier auf eine Eigentümlichkeit in den Duplikaten der Traubücher hingewiesen werden: In den Jahren 1870 bis 1874 wird bei 33 von insgesamt verzeichneten 69 Ehen der Marzdorfer Lehrer Hermann Wiese als einer der Trauzeuge genannt, bei 34 Ehen ist es der Kirchenvorsteher Johann Garske. Der Lubsdorfer Lehrer Hilarius Rehbronn bezeugte die Gültigkeit von fünf Hochzeiten, der Brunker Lehrer Johann Theuss wurde in acht Fällen verzeichnet. Offenbar besassen diese vier Männer in besonderem Maße das Vertrauen der Brautleute.

Anmerkungen:

  • 1
    Die Erosion der ständischen Gesellschaft war nur ein Aspekt des Wandels, den die preußischen Landgemeinden im Zeitraum von 1830 bis 1900 in ökonomischer, administrativer und juristischer Hinsicht erlebten. Siehe dazu: P. Wagner: Bauern, Junker und Beamte. 2005.
  • 2
    Nach I. J. G. Scheller: Deutsch-lateinisches Lexicon. 1784, Spalte 757 ist ein inquilinus ein Häusler »ohne eigenes Haus«.
  • 3
    In den Schulakten von Königsgnade, die heute in Piła verwahrt werden, befindet sich eine Aufstellung über Patronatslasten in Höhe von 73 113 Mark, die das Dominium Marzdorf noch in den Jahren 1894 bis 1923 für den Unterhalt der lokalen Schulen und Kirchen aufbringen musste. (Regierung Marienwerder/Schneidemühl: Actra betr. Schulbauten in Königsgnade 1887-1936, undatiertes Schreiben, ohne Pagina.)
  • 4
    In den Kirchenbuch-Duplikaten findet sich bei drei Taufen der Jahre 1864 bis 1872 noch ein weiterer »Gutsbesitzer«: Bernhard Schmidt in Marzdorf. Diese Standeszuschreibung durch die Pfarrer Steinke, Harski und Krefft ist rätselhaft, denn Bernhard Schmidt bewirtschaftete kein Gut, sondern das Kruggrundstück, dass sein Vorfahr Martin Schmidt 1706 erworben hatte. Dessen Nachfahre Christoph Schmidt wird 1772 als Zinsbauer auf einer Hufe Land im Kontributionskataster erwähnt, wo sich auch eine Abschrift des ursprünglichen Privilegs findet. GStA PK: Kontributionskataster Dorf Martzdorff, Blatt 251 ff.
  • 5
    Die eigentliche Wortbedeutung von Colonus ist »Jemand, der sich mit dem Ackerbau beschäftigt, gleichviel ob auf seinem Eigenthume oder als arator oder im Kleinen, d. h. als Pächter einer Staatsdomäne oder eines Privatgrundstückes«. (F. Schmalfeld: Lateinische Synonymik. 1869, S. 139.) Im Duplikat wird der Begriff immer nur für die bäuerlichen Eigentümer verwendet.
  • 6
    R. Wegner: Grundzüge einer zeitgemäßen Reorganisation des Gemeindewesens. 1850, S. 34.
  • 7
    »Auch in Westpreußen waren schon in polnischer Zeit an einigen Orten die Bauern von Scharwerksdienst entbunden und auf einen höhern Zinsfuß gesetzt; sie hießen Freibauern […]«. A. von Haxthausen: Die ländliche Verfassung in den Provinzen Ost- und West-Preußen. 1839, S. 225.
  • 8
    Eine Ausnahme mag Johann Neumann in Marzdorf gewesen sein, der ab 1863 genannt wird.
  • 9
    R. Wegner, a. a. O. 1850, S. 53.
  • 10
    Einige Begriffe werden zeitlich versetzt genutzt: Ackersmann nur 1823, Cossetus nur 1825, Agricola von 1825 bis 1835, Halbbauer nur 1872. Mit den Begriffen Kossät und Eigentümer werden zudem gleiche Personen benannt, so gilt Johann Günterberg in Marzdorf 1858 als Eigentümer, 1860 als Kossät, 1862 und 1864 wieder als Eigentümer und 1865 sowie 1870 als Kossät.
  • 11
    »Daraus erklärt sich das geringere Ansehen des Kossäthen: er hat keinen Antheil an den gemeinsamen Angelegenheiten der Flur, er hat in Flursachen nicht mit­zureden; er steht außerhalb des Kreises der Bauern, des Kreises, der durch die Wirthschaft nach gemeinsamer Regel zusammengehalten wird.« G. F. Knapp: Die Bauern-Befreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Theilen Preußens. 1887, S. 12.
  • 12
    Johann Schmidt wird in den Kirchenbuch-Duplikaten erstmalig 1867, nach dem im Oktober 1866 erfolgten Tod von Johann Schulz, als Pfarrbüdner in Lubsdorf erwähnt.
  • 13
    Der 1842 als Käthner geführte Peter Garske aus Königsgnade erscheint im Separationsrezess von 1850 als Eigenhäusler mit 15 Morgen Land. Die im Rezess ebenfalls genannten Kossätenhöfe waren durchschnittlich 50 Morgen groß. (GStA PK: Grundsteuer-Kataster des adlichen Dorfes Koenigsgnade 1841-1850.)
  • 14
    Die Bezeichnung Einwohner findet sich nur 1824 in den Duplikaten. Im Jahr 1823 nutzte Pfarrer Busse auch für diese Gruppe die Bezeichnung Häusler, im Jahr 1825 wechselte er zu Inquilinus.
  • 15
    Die Bezeichnung Arbeiter wird in den Duplikaten nur von Pfarrer Steinke in den Jahren 1865 bis 1867 gebraucht. Die Pfarrer Katzer, Harski und Krefft schrieben Arbeitsmann.
  • 16
    Ein Beispiel ist Franz Marten aus Marzdorf, der 1863 im Taufbuch-Duplikat als Arbeitsmann bezeichnet wird, 1865 als Beikossät, 1870 als Einlieger und 1872 wieder als Beikossät.
  • 17
    Stephan Litfin aus Marzdorf z. B. wurde in den Taufbuch-Duplikaten 1863 als Arbeitsmann geführt, 1865 und 1867 als Einlieger, 1869 als Häusler, 1872 wieder als Einlieger. Etwas glaubwürdiger erscheint die Entwicklung bei Michael Kluck aus Königsgnade: Er wurde 1859 als Knecht geführt, 1861 bis 1863 als Einlieger und ab 1865 als Häusler.
  • 18
    Im Grunde handelt es sich um Paarbeziehungen, denn durch den frühen Tod eines Ehegatten entfielen auf einige Familien mehrere Elternteile.
  • 19
    Zitiert nach: P. Wagner, a. a. O. 2005, S. 41.
  • 20
    E. J. Krefft, a. a. O. August 2020, S. 10.
  • 21
    GStA PK: Grundsteuer-Kataster des adlichen Dorfes Koenigsgnade (1841-1850).
  • 22
    Bundesarchiv Bayreuth: Grund- und Betriebslisten der Heimatauskunftstelle für den Regierungsbezirk Schneidemühl – Gemeinde: Königsgnade vom 24./25. September 1956.
  • 23
    Ecclesiae Parochialis Mellentinensis: Liber Baptizatorum [Taufbuch der Parochial-Kirche von Mellentin] 1846-1888. Das Buch liegt ebenfalls in einer Abschrift vor, die bei mir angefordert werden kann.