Die Pfarre Marzdorf 1823-1874 – Teil I

Die Duplikate der Kirchenbuchs der katholischen Pfarre Sankt Katharina in Marzdorf, die im Archiwum Państwowe in Koszalin verwahrt werden, wurden bereits im Oktober 2014 durch den Fotografen Leszek Ćwikliński digitalisiert. Seit dem Frühjahr dieses Jahr sind die 304 doppelseitigen Bilddateien, die Ćwikliński fertigte, auf dem genealogischen Web-Portal metryki.genbaza.pl öffentlich zugänglich. Ich habe die Tauf-, Begräbnis- und Hochzeitsinformationen der Digitalisate abgeschrieben und in eine Excel-Arbeitsmappe übertragen, die ich bei Interesse1Die Excel-Arbeitsmappe kann per Mail an t.soorholtz@gmail.com angefordert werden. zur Verfügung stelle. Die Kirchenbuch-Duplikate sind jedoch nicht nur eine wichtige genealogische Quelle, sondern auch für die regionalhistorische Forschung interessant, da sie umfangreiche demografische und soziologische Informationen enthalten.

In Preußen war die Führung der Kirchenbücher und ihrer Duplikate seit 1794 gesetzlich geregelt. Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten bestimmte, dass jeder Pfarrer schuldig sei, »richtige Kirchenbücher zu halten« und darin alle »angezeigte Aufgebote, Trauungen, Geburten, Taufen, und Begräbnisse deutlich und leserlich einzuschreiben«2Von dem Pfarrer und dessen Rechten. In: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, Zweyter Theil, Eilfter Titel. Band 4 der Druckauflage Berlin (Pauli) 1794², S 786. Das Landrecht legte ebenfalls fest, welche Angaben der Pfarrer zu welchem Ereignis einzutragen hatte, und es verpflichtete ihn, ein »Duplicat des Kirchenbuchs« zu halten, in dem der Küster »die von dem Pfarrer eingetragenen Vermerke getreulich abschreiben«3A. a. O., S. 786. Dort findet sich auch das folgende Zitat. sollte. Am Ende jeden Jahres war die Abschrift vom Pfarrer zu beglaubigen und das Duplikat dem zuständigen Gericht »verwahrlich« zu übergeben.

Die Marzdorfer Kirchenbuch-Duplikate decken die Jahre 1823 bis 1874 ab und wurden ursprünglich beim Amtsgericht in Märkisch Friedland verwahrt. Die vorhandenen Zweitschriften sind allerdings nicht vollständig: Die Jahre 1836 bis 1841 fehlen gänzlich, ebenso das Jahr 1848. Vom Jahr 1865 sind nur Taufen und Hochzeiten überliefert, die Begräbnisse fehlen. Bei den Hochzeitseinträgen des Jahres 1863 wurde eine Seite halb aus der Akte herausgerissen, was den Verlust von wenigstens vier Einträgen zur Folge hat.

Aus den überlieferten Schulakten4Die Acta Generalia betreffend die jährlichen Schulmusterungen im Decanat Dt. Crone der Königlichen Regierung zu Marienwerder liegen für die Jahre 1818 bis 1873 online bei familysearch.org als LDS-Filme 8206265 bis 8206267 vor.wissen wir, dass die Schullehrer der Marzdorfer Pfarre stets auch das Amt des Küsters und des Organisten ausübten, wofür ein zusätzliches jährliches Gehalt von sechs Reichstalern gezahlt wurde5Acta General. betr. die jährl. Schulmusterungen im Decanat Dt. Crone (1820 -1840) (Ost-Abt. Rep. A181 Nr. 7576). LDS-Film 008206266, 1967, Bild 495.. In den Jahren 1821 bis 1845 war Johann Neumann (* 1794; † 1859) Schullehrer in Marzdorf, von 1846 bis 1855 versah sein Sohn August (* 1819) das Amt, dem dann Hermann Wiese folgte. Dessen Lebensdaten sind unbekannt; wir wissen lediglich, dass Wiese 1896 noch Lehrer in Marzdorf war, denn in diesem Jahr wurde ihm der Adler der Inhaber des Hohenzollerschen Hausordens verliehen6Ordensverleihungen. Thorner Presse, 22. Januar 1896, S. [3]..

Dass die drei Schullehrer in ihrer Funktion als Küster tatsächlich die Kirchenbuch-Duplikate der Pfarre führten, erscheint freilich unwahrscheinlich. Auch ein ungeübtes Auge vermag zu erkennen, dass die Zweitschriften in mindestens sechs verschiedenen Handschriften vorliegen. Die erste Handschrift findet sich in den Jahren 1823 bis 1835, die zweite von 1842 bis 1859, die dritte 1860, die vierte 1861 bis 1863, die fünfte 1864 bis 1867 und die sechste von 1868 bis 1874. Diese Phasen passen nun viel eher zu den Amtszeiten der Marzdorfer Pfarrer als zu denen der Schullehrer. Der Verdacht liegt daher nahe, dass – abweichend von den Vorschriften des Landrechts – in Marzdorf die Pfarrer meist selbst das Duplikat des Kirchenbuches führten und nur zeitweilig eine dritte Person beauftragten. Diese dritte Person mag der jeweilige Küster gewesen sein.

Dieser Befund passt auch zu den wenigen Schriftproben, die zum Vergleich aus den Original-Kirchenbüchern zur Verfügung stehen. Auch diese Bücher sind inzwischen digitalisiert; die Digitalisate können jedoch nur am Archivort selbst, im Diözesanarchiv Koszalin-Kołobrzeg, eingesehen werden.

Anders als das Landrecht es vorsieht, bieten die Duplikate der Marzdorfer Kirchenbücher auch nicht immer eine »getreuliche Abschrift« des Originals. Zusätzlich zu einzelnen Übertragungsfehlern, wie sie nie auszuschließen sind, reduzierten die Verfasser der Duplikate vor allem zwischen 1842 und 1863 deutlich deren Informationsgehalt. Sie übernahmen aus dem Kirchenbuch nur die Informationen, die gesetzlich unbedingt gefordert waren, und ließen alle darüber hinausgehenden Angaben – die sich in den Originalen durchaus finden – weg.

In der Zeit von 1823 bis 1874 amtierten in Marzdorf die nachstehend aufgeführten sechs Pfarrer:

Vorname u. NameAmtszeit i. d. GemeindeGeburt (Jahr u. Ort)Priesterweihe (Jahr u. Ort)Tod (Jahr u. Ort)
Conrad Busse1821-18361780, Rose1808, Breslau1848, Schneidemühl
Johann Neumann1836-18401808, Knakendorf1834, Gnesennach 1877
Anton Katzer1840-18641807, Böhmen1837, Breslau1878, Tütz
Martin Steinke1864-18661831, Klausdorf1857, Gnesen1905, Klein Nakel
August Harski1866-18711832, Tütz1860, Posen1884, Swinemünde
Eduard Krefft1871-18971837, Zippnow1864, Posen1893, Marzdorf

Die Kirchenbuch-Duplikate der Jahre 1823 bis 1835 stammen gewiss aus der Hand des »Orths-Comendarius« Conrad Busse, denn dieser bestätigt auf der vierten Seite des Aktenfaszikels, er habe die Kopie selbst »angefertigt«. Busse führte die Bücher in den ersten beiden Jahren auf Deutsch, dann wechselte er zum Lateinischen. Mitten im Jahrgang 1825 änderte er zusätzlich die Form der Darstellung: Wurden die Ereignisse bislang linear notiert, so folgte nun eine tabellarische Darstellung, die er aber nur bis 1830 beibehielt. Bei allen Veränderungen in der Form zeichnen sich die Duplikate aus Busses Hand durch einen hohen Detailreichtum aus. So werden von 1825 bis 1829 bei Taufen, Hochzeiten und Begräbnissen zusätzlich zur Ortsangabe auch die Hausnummern genannt, was den Nutzen deutlich erhöht. Busse ist auch der einzige Pfarrer, der stets ein Begräbnisdatum angab, dafür verzichtete er vom Sommer 1825 bis zum Ende des Jahres 1829 auf die Nennung des Sterbedatums.

Das Duplikat des Jahrgangs 1836 hätte bereits Johann Neumann dem Amtsgericht in Märkisch Friedland abliefern müssen – allein es fehlt ebenso, wie alle Zweitschriften aus seiner Amtszeit, die freilich in die Zeit des »Kirchenkampfes« mit dem preußischen Staat fiel. In seiner in den 1870er Jahren verfassten Pfarrchronik urteilte Pfarrer Krefft über Neumann:

»Als […] Kirchentrauer angeordnet wurde, hielt sich Neumann nicht daran. Gegen das Verbot stiftete er auch Mischehen und wurde deshalb nach der Rückkehr des Posener Erzbischofs bestraft. […] Er hinterließ den Kirchenbesitz sehr vernachlässigt und verpachtete das Kirchenland.«7E. J. Krefft: Aus der Pfarrchronik von Marzdorf. In: Das Archiv, Nr. 6, August 2020, S. 19.

Im Anschluss an Neumann übernahm Anton Katzer 1840 die Marzdorfer Pfarre, wurde jedoch – nach Kreffts Angabe8A. a. O., S. 20. – wegen des anhaltenden Kirchenkampfs erst im August 1843 staatlich anerkannt9Im Posener Kirchenkalender von 1842 – dem ersten seit 1838 – wird Anton Katzer als »Comendarius« in Marcinkow benannt und sein Amtsbeginn auf 1840 datiert. Johann Neumann wird hingegen als »Vicarius« in Święciechowa/Schwetzkau aufgeführt, ebenfalls mit dem Amtsbeginn 1840. Vermutlich war die Herabstufung zum Vikar die Strafe, von der Krefft spricht. Erst 1842 durfte Neumann wieder als Pfarrer, jetzt in Radomicko/Radomitz, wirken. Elenchus Universi Cleri Archi-Dioecesis Posnaniensis. 1842, S. 67 u. 69 und desgl. 1843, S. 62.. Am 1. Juli 1846 erging an Katzer von seinen Vorgesetzten in Tütz die Aufforderung, die »Kirchenbücher der zur Pfarre Marzdorf zugehörigen Orthschaften pro 1842 bis incl. 1845 baldgefälligst einreichen zu wollen«10Schreiben auf Seite 134 des Kirchenbuch-Duplikats.. Katzer lieferte daraufhin die Jahrgänge 1842 bis 1845 im Konvolut ab, musste aber bereits 1848 wieder zur Abgabe der Duplikate für 1846 und 1847 aufgefordert werden11Schreiben auf Seite 162 des Kirchenbuch-Duplikats.. Katzer führte während seiner gesamten Amtszeit die Duplikate entweder selbst oder durch einen Dritten knapp und ohne großen Aufwand in deutscher Sprache. Er verzichtete durchgängig auf die Angabe von Trauzeugen bei den Heiratseinträgen und von Geburtsnamen oder den Namen der Mütter bei Begräbniseinträgen. Während er bei den Taufen eine lineare Darstellung wählte, nutzte er für Sterbefälle und Hochzeiten eine tabellarischer Form. Das Fehlen des Jahrgangs 1848 fällt zweifellos in seine Verantwortung. Nach Kreffts Urteil war »Katzers Hauptanliegen […] die Landwirtschaft und die Vermehrung des Besitzes«12Krefft, a. a. O., S. 20, der Pfarre.

Ausschnitt aus dem Kirchenbuch.
Siegel und Unterschrift Katzers aus dem Jahr 1853.

Katzers Nachfolger war Martin Steinke, der in Marzdorf nur von Juli 1864 bis November 1865 amtierte. In Steinkes Amtszeit wurden die Duplikate durchgängig in tabellarischer Form geführt und fallen dadurch noch etwas knapper aus als zur Zeit Katzers. Es fehlen nun die Orts- und Standesangaben zu den Trauzeugen und alle Angaben zu den Brauteltern.

Für die Richtigkeit des Duplikat des Jahres 1865 zeichnete bereits August Harski verantwortlich, der die Pfarre jedoch erst im März 1866 übernahm13Wie aus dem Duplikat hervorgeht, verwaltete Eduard Krefft, der 1864 zum Priester geweiht wurde, von November 1865 bis März 1866 vertretungsweise die Marzdorfer Pfarre.. Harski führte die Bücher offenbar selbst und setzte dabei die sparsame tabellarische Kirchenbuchführung von Martin Steinke unverändert fort. Er hatte zusätzlich die Eigentümlichkeit, den Familiennamen »Harske« immer in »Harski« zu verändern, ließ jedoch alle anderen auf »-ke« endenden Familiennamen (Radke, Garske, Buske etc.) unangetastet.

Von 1871 bis September 1874 war Eduard Krefft für die Führung der Kirchenbücher zuständig. Grundsätzlich behielt auch Krefft die knappe tabellarische Darstellung von Steinke bei, erweiterte aber die Angaben in den Sterbebüchern um die Namen der Mütter bei verstorbenen Kindern und der Geburtsnamen von Witwen. In den Heiratsbüchern gab er auch die Trauzeugen an. Mit der Einführung der Standesamtsregister im Oktober 1874 enden die Kirchenbuchduplikate; die letzte Taufe ist am 29. September, der letzte Todesfall am 18. September und die letzte Heirat am 20. September 1874 registriert.

Insgesamt enthalten die Kirchenbuchduplikate 2764 Taufen und 1556 Todesfälle, die wie folgt auf Ortschaften und Wohnplätze verteilt sind:

OrtTaufenTodesfälle
Alt Prochnow134
Balster1
Böthin10752
Brunk474279
Dreetz5832
Fischerkrug1
Grünbaum82
Henkendorf145
Königsgnade471273
Langhof11
Lubsdorf744456
Lubshof129
Marienthal3
Märkisch Friedland4
Marzdorf (und Abbau Iretz)775422
Neu Prochnow6315
Neukrug4
Nierosen11
Petznick2
Spechtsdorf1
Weißer Krug1
Wilhelmshof1
Wordel2
Zadow21
Tabelle 1: Örtliche Verteilung von Taufen und Todesfällen. Bei zwei Taufen und drei Todesfällen ist kein Ort angegeben.

Außerdem sind in den Duplikaten 569 Hochzeiten aufgeführt, die in der Pfarrkirche von Marzdorf, in den Filialen von Brunk und Lubsdorf oder in Kirchen der Umgebung begangen wurden. Der Ort der Hochzeit ist in den Duplikaten nur bis Ende 1864 und zudem in verschiedener Form (Herkunftsort des Bräutigams oder der Braut, Trauort) angegeben, was eine statistische Auswertung erschwert. Marzdorf wird jedoch bei 176 Trauungen als Ort der Hochzeit genannt, und in weiteren 40 Fällen, in denen kein Hochzeitsort aufgeführt ist, stammt die Braut aus Marzdorf, so dass die Hochzeit – nach den Gebräuchen der Zeit – ebenfalls dort stattgefunden haben dürfte. Wenn wir die weiteren Orte analog behandeln, kommen wir zu folgendem Ergebnis, das immerhin 554 Hochzeiten erfasst:

OrtIm Duplikat als Hochzeitsort genanntHerkunftsort der Braut bei fehlendem Hochzeitsortinsgesamt
Böthin10717
Brunk721688
Dreetz437
Lubsdorf11631147
Königsgnade383169
Marzdorf17640216
Neu Prochnow11
Tabelle 2: Bei insgesamt 10 Hochzeiten werden die Hochzeitsorte Klein Nakel, Mellentin, Ruschendorf, Schulzendorf oder Tütz genannt.

Im statistischen Mittel wurden in der Pfarre Marzdorf jährlich 63,1 Kinder geboren und 13 Ehen geschlossen, während 36,4 Menschen starben. Die untenstehende Grafik zeigt die tatsächliche Verteilung der im Duplikat erfassten Ereignisse im Zeitstrahl:

Grafische Darstellung von Taufen, Begräbnissen und Hochzeiten in Marzdorf

Wie die Grafik zeigt, stiegen alle drei Kurven – wenn auch in unterschiedlichem Maß – ab etwa 1850 tendenziell an. Wurden im Mittel der Jahre 1823 bis 1832 in der Pfarre Marzdorf 51 katholische Kinder geboren, so waren es im Jahrzehnt 1863 bis 1872 75,5 – das ist ein Zunahme um 48 Prozent. Ganz ähnlich ist die Entwicklung bei den Todesfällen: Starben im Mittel der Jahre 1823 bis 1832 29,9 Menschen, so waren es im Jahrzehnt bis 1873 42,9 – was immerhin eine Zunahme um 43,5 Prozent bedeutet. Die Zahl der Heiraten nahm ebenfalls von durchschnittlich 10,1 pro Jahr auf 13,8 – also um 36,6 Prozent – zu. Die Entwicklung verlief jedoch nicht gleichmäßig, sondern in Zickzacklinien mit Ausschlägen und Tiefpunkten. Bemerkenswert ist, dass die Zahl der Todesfälle im Untersuchungszeitraum dreimal (1832, 1851 und 1868) die Zahl der Taufen übertraf14Vermutlich war das auch im Jahr 1848 der Fall, über das uns aber keine Unterlagen vorliegen. Im September 1848 brach in Marzdorf und Lubsdorf eine Cholera-Epidemie aus, die insgesamt 27 Todesopfer forderte. Siehe dazu die Schilderung bei Dr. Mecklenburg: Was vermag die Sanitäts-Polizei gegen die Cholera, Berlin 1854, S.8.. In den Kriegsjahren 1866 und 1871 fielen hingegen die Zahl der Hochzeiten auf Tiefstwerte.

Während die Kirchenbuchduplikate für den steilen Anstieg der Sterberate im Jahr 1832 keine eindeutige Ursache erkennen lassen, war im Jahr 1851 eine Scharlachinfektion und im Jahr 1868 das Zusammentreffen mehrerer Infektionskrankheiten der Auslöser. Im Jahr 1851 starben acht Kinder an »Scharlachfieber«, davon vier in Brunk, drei in Marzdorf und eins in Böthin. Im Jahr 1868 starben 15 Kinder15Im Kirchenbuchduplikat werden sechs Sterbefälle in Marzdorf, drei in Lubsdorf und je zwei in Alt-Prochnow, Böthin und Brunk auf Keuchhusten zurückgeführt. an Keuchhusten und zwölf Kinder an Scharlach16Das Kirchenbuch-Duplikat meldet sechs Todesfälle aufgrund von Scharlach in Königsgnade, drei in Lubsdorf und drei in Marzdorf. Ein Ausbruch von Typhus forderte im Jahr 1868 außerdem neun erwachsene Opfer in Lubsdorf und Marzdorf.. Überhaupt ist die Kindersterblichkeit dieser Zeit erschreckend: Unter den 1556 Todesfälle, die das Kirchenbuchduplikat auflistet, betrafen rund 860 (oder 55,3 Prozent) Kinder und Heranwachsende unter 14 Jahren. Dieser Zustand besserte sich auch nicht im Verlaufauf der Zeit. Zwar sank der prozentuale Anteil der Kinder an allen Verstorbenen von 53,9 Prozent in den 1820er und 1830er Jahren auf 52,6 Prozent in den 1840er und 1850er Jahren ab, aber in den 1860er und 1870er Jahren erreichte er einen Spitzenwert von 59 Prozent.

Mehr als die Hälfte der verstorbenen Kindern, die in den Kirchenbuch-Duplikaten aufgeführt sind, waren Kleinkinder im Alter bis zu einem Lebensjahr. In 38 Fällen wurden Kinder bereits tot geboren oder starben an den Folgen der Geburt; in weiteren 138 Fällen notierten die Pfarrer im Kirchenbuch keine Krankheit, sondern führten den Tod auf »Schwäche« (auch Debilitas) oder Kraftlosigkeit (Infirmitate) zurück. Die nachfolgende Tabelle gibt die Sterblichkeit von Kindern bis zu einem Lebensjahr im Verhältnis zur Zahl der Taufen (〰) für die einzelnen Orte an:

Zahl Brunk Königsgnade
Lubsdorf Marzdorf
† ≤ 1 % † ≤ 1 % † ≤ 1 % † ≤ 1 %
1823-35 119 22 18,5 112 22 19,6 202 44 21,8 153 32 21,0
1824-59 162 28 17,3 175 23 13,1 291 61 20,9 304 46 15,1
1860-74 193 34 17,6 184 32 17,4 263 36 13,7 318 39 12,2
Gesamt 474 84 17,7 471 77 16,3 756 141 18,7 775 117 15,1

Die nächste Tabelle vergleicht die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit in der Marzdorfer Pfarre mit der in Preußen17Die Daten für Preußen wurden entsprechend dem Bestand der Kirchenbuch-Duplikate berechnet nach: J. Sensch: Entwicklung der Säuglingssterblichkeit nach Geschlecht in Preußen (1816-1939). Internetadresse: https://histat.gesis.org, 2010.insgesamt:

ZeitPfarre MarzdorfPreußen
TaufenVerstorbene ≤ 1 JahrSterblichkeit in ProzentSterblichkeit in Prozent
1823-3566613420,118,0
1842-59102516816,419,1
1860-74107315914,821,4
Gesamt276446215,119,4
Tabelle 3 und 4: In den Zahlen von Lubsdorf ist Lubshof mit eingeschlossen. Da für Preußen nur Prozentwerte vorliegen, wurde jeweils der Mittelwert berechnet.

Die Tabelle verdeutlicht gegenläufige Tendenzen: Während die Säuglingssterblichkeit in Preußen – wohl bedingt durch die Industrialisierung – bis 1873 zunahm, ging sie im vorwiegend agrarisch geprägten Marzdorf allmählich zurück. Die Lebenserwartung von Neugeborenen, die in Marzdorf in den 1820er Jahren im Durchschnitt schlechter war als in Preußen überhaupt, verbesserte sich und übertraf bereits um 1850 das Niveau des Gesamtstaats. Dennoch verstarb auch in der Marzdorfer Pfarre jedes siebte Kind vor dem Erreichen des ersten Lebensjahres und der Anteil der Kinder an der Gesamt­zahl der Verstorbenen nahm zu.

Nicht jeder starb allerdings jung: Die Kirchenbuch-Duplikate führen auch 54 Menschen auf, die erst im Alter von 80 Jahren oder mehr starben. Die älteste Einwohnerin der Pfarre war die Witwe Anna Heymann, die am 30. Juli 1825 mit 104 Jahren im Marzdorfer Armenhospital18Vom Armenhospital in Marzdorf berichtete Das Archiv in Heft Nr. 7, das im September 2020 erschien. an Altersschwäche verstarb. Pfarrer Busse vermerkte das Rekordalter groß in den Büchern; es bleibt allerdings ein Rätsel, woher er es kannte, denn die ältesten Kirchenbücher wurden bei einem Brand 1759 zerstört. Immerhin 95 Jahre alt wurde nach den Büchern der Kossät Peter Harske, der 1823 in Königsgnade starb, 94 Jahre zählte die Witwe Katharina Schulz in Lubsdorf, die 1847 ebenfalls im Alter von 94 Jahren zu Grabe getragen wurde, und der Altsitzer Johann Robek aus Königsgnade verstarb 1866 im Alter von 93 Jahren.

Insgesamt verzeichnete die Region um Marzdorf trotz der hohen Säuglingssterblichkeit im Zeitraum von 1823 bis 1874 einen Bevölkerungsgewinn von rund 1200 Personen.. Dieser Gewinn konnte allerdings nicht vollständig im Gebiet selbst realisiert werden, denn die katholische Bevölkerung wuchs zwischen 1814 und 1872 nur um etwa 700 Menschen (von etwa 1000 auf rund 170019Für 1814 nennt Pfarrer Krefft die Zahl von 961 katholischen und 54 evangelischen Einwohnern in der Pfarre. (Pfarrchronik, a. a. O., S. 19). Im Jahr 1872 gehörten der katholischen Pfarrgemeinde in Marcinków nach dem Ordo Officii Divini Recitandi, Sacrique Peragendi ad Usum Almae Ecclesiae Metropolitanae et Archidioecesis Posnaniensis Pro Anno Domini MDCCCLXXII (Posnaniae 1872, S. 46) 1710 »Seelen« an, von den 298 zur Filiale Brunk und 437 zur Filiale Lubsdorf gehörten.) an. Trotz ausgesprochen geringer Bevölkerungsdichte verlor die Pfarre offenbar rund 500 Personen durch Abwanderung.

► Wird fortgesetzt.

Anmerkungen:

  • 1
    Die Excel-Arbeitsmappe kann per Mail an t.soorholtz@gmail.com angefordert werden.
  • 2
    Von dem Pfarrer und dessen Rechten. In: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, Zweyter Theil, Eilfter Titel. Band 4 der Druckauflage Berlin (Pauli) 1794², S 786.
  • 3
    A. a. O., S. 786. Dort findet sich auch das folgende Zitat.
  • 4
    Die Acta Generalia betreffend die jährlichen Schulmusterungen im Decanat Dt. Crone der Königlichen Regierung zu Marienwerder liegen für die Jahre 1818 bis 1873 online bei familysearch.org als LDS-Filme 8206265 bis 8206267 vor.
  • 5
    Acta General. betr. die jährl. Schulmusterungen im Decanat Dt. Crone (1820 -1840) (Ost-Abt. Rep. A181 Nr. 7576). LDS-Film 008206266, 1967, Bild 495.
  • 6
    Ordensverleihungen. Thorner Presse, 22. Januar 1896, S. [3].
  • 7
    E. J. Krefft: Aus der Pfarrchronik von Marzdorf. In: Das Archiv, Nr. 6, August 2020, S. 19.
  • 8
    A. a. O., S. 20.
  • 9
    Im Posener Kirchenkalender von 1842 – dem ersten seit 1838 – wird Anton Katzer als »Comendarius« in Marcinkow benannt und sein Amtsbeginn auf 1840 datiert. Johann Neumann wird hingegen als »Vicarius« in Święciechowa/Schwetzkau aufgeführt, ebenfalls mit dem Amtsbeginn 1840. Vermutlich war die Herabstufung zum Vikar die Strafe, von der Krefft spricht. Erst 1842 durfte Neumann wieder als Pfarrer, jetzt in Radomicko/Radomitz, wirken. Elenchus Universi Cleri Archi-Dioecesis Posnaniensis. 1842, S. 67 u. 69 und desgl. 1843, S. 62.
  • 10
    Schreiben auf Seite 134 des Kirchenbuch-Duplikats.
  • 11
    Schreiben auf Seite 162 des Kirchenbuch-Duplikats.
  • 12
    Krefft, a. a. O., S. 20,
  • 13
    Wie aus dem Duplikat hervorgeht, verwaltete Eduard Krefft, der 1864 zum Priester geweiht wurde, von November 1865 bis März 1866 vertretungsweise die Marzdorfer Pfarre.
  • 14
    Vermutlich war das auch im Jahr 1848 der Fall, über das uns aber keine Unterlagen vorliegen. Im September 1848 brach in Marzdorf und Lubsdorf eine Cholera-Epidemie aus, die insgesamt 27 Todesopfer forderte. Siehe dazu die Schilderung bei Dr. Mecklenburg: Was vermag die Sanitäts-Polizei gegen die Cholera, Berlin 1854, S.8.
  • 15
    Im Kirchenbuchduplikat werden sechs Sterbefälle in Marzdorf, drei in Lubsdorf und je zwei in Alt-Prochnow, Böthin und Brunk auf Keuchhusten zurückgeführt.
  • 16
    Das Kirchenbuch-Duplikat meldet sechs Todesfälle aufgrund von Scharlach in Königsgnade, drei in Lubsdorf und drei in Marzdorf. Ein Ausbruch von Typhus forderte im Jahr 1868 außerdem neun erwachsene Opfer in Lubsdorf und Marzdorf.
  • 17
    Die Daten für Preußen wurden entsprechend dem Bestand der Kirchenbuch-Duplikate berechnet nach: J. Sensch: Entwicklung der Säuglingssterblichkeit nach Geschlecht in Preußen (1816-1939). Internetadresse: https://histat.gesis.org, 2010.
  • 18
    Vom Armenhospital in Marzdorf berichtete Das Archiv in Heft Nr. 7, das im September 2020 erschien.
  • 19
    Für 1814 nennt Pfarrer Krefft die Zahl von 961 katholischen und 54 evangelischen Einwohnern in der Pfarre. (Pfarrchronik, a. a. O., S. 19). Im Jahr 1872 gehörten der katholischen Pfarrgemeinde in Marcinków nach dem Ordo Officii Divini Recitandi, Sacrique Peragendi ad Usum Almae Ecclesiae Metropolitanae et Archidioecesis Posnaniensis Pro Anno Domini MDCCCLXXII (Posnaniae 1872, S. 46) 1710 »Seelen« an, von den 298 zur Filiale Brunk und 437 zur Filiale Lubsdorf gehörten.

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